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Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984) 529
sich für keine Phase seines Lebens schämte, bildet eine widerspruchsvolle und spannende
Folie für die Erforschung seiner Biografie.
Der junge Sozialdemokrat und nachmalige österreichische Bundespräsident, Heinz Fi-
scher, artikulierte in seinem Dokumentationsbuch über den „Fall Borodajkewycz“ – wel-
ches auch als Kampfschrift zu verstehen ist – vehemente Kritik : Borodajkewycz sei ein un-
belehrbarer Nazi und Antisemit gewesen, der dank seines intellektuellen und politischen
Opportunismus jedem Regime dienen konnte und der das Hochschulmilieu im demo-
kratischen Österreich vergiftet habe8. Borodajkewycz fungierte für Fischer als Symptom
für die politisch-gesellschaftlichen Zustände an österreichischen Hochschulen. Fischers
polemische Diagnose von Borodajkewycz als einem intellektuellen Opportunisten und
erstarrten nazistischen und antisemitischen Dinosaurus blieb im Wesentlichen bis in die
Gegenwart virulent, weil Fischers zwar wichtiges, prinzipiell aber parteiliches Buch neben
der Tagespresse die Hauptquelle der Schriften über Borodajkewycz bildet. In vorliegender
Darstellung wird vor allem auf publizierte Texte von Borodajkewycz und auf archivalische
Quellen persönlicher wie amtlicher Provenienz in der Hoffnung fokussiert9, das gängige
Bild von Borodajkewycz um eine Analyse, insbesondere der ersten Hälfte seiner Biografie
im Kontext der österreichischen Geschichtswissenschaft bis 1945, bereichern zu können.
2. leBensdaten
Taras Borodajkewycz wurde am 1. Oktober 1902 im achten Wiener Gemeindebezirk (Jo-
sefstadt) geboren.10 Er war der ältere der zwei Söhne des Wlodimir von Borodajkewycz
(1875– ?) und seiner Gemahlin Henriette (1876–1954), geborene Löwe-Dinstl. Wlodimir
von Borodajkewycz war in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts aus Galizien nach Wien
gezogen, um Technik zu studieren, während die Mutter einer Wiener deutsch-katholischen
Familie entstammte. Wlodimir von Borodajkewycz’ Familie zählte zu ukrainischen Grund-
besitzern und gehörte angeblich zu einer der Hetman-Familien, also zur ukrainischen po-
litischen Führungsschicht. Borodajkewycz’ Vorfahren bekleideten mehrfach hohe Würden
in der orthodoxen Kirche. Seit den 1930er-Jahren kursierte in der Familie Borodajkewycz
sogar die Geschichte von einer wikingischen Herkunft, wobei der Name Borodajkewycz in
8 Einer im Vordergrund. Taras Borodajkewycz. Eine Dokumentation, hg. v. Heinz Fischer (Wien/Frankfurt/
Zürich 1966) 7f.; als ähnliche „Kampfschrift“ erschien Erich Schmidt, Albrecht K. Konecny, „Heil Bo-
rodajkewycz !“ Österreichs Demokraten im Kampf gegen Professor Borodajkewycz und seine Hintermänner
(München 1965).
9 Ich danke besonders Herrn Ing. Olaf Borodajkewycz für die Erlaubnis, ohne Einschränkung den Nachlass
seines Vaters studieren zu dürfen.
10 UAW, PH RA 11129 Taras Borodajkewycz, Lebenslauf (Februar 1932).
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625