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530 Jiří Němec
der deutschen Übersetzung Sohn des Bärtigen heißen sollte – Die Legende bot der privaten
Familiengeschichte ein willkommenes Argument für das untypische slawische Aussehen von
Taras Borodajkewycz11. Nach Angaben, die Taras Borodajkewycz später aus Anlass seiner
Beschäftigung im tschechoslowakischen Staatsdienst machte, studierte sein Vater Ende der
1890er-Jahre Jus in Lemberg (Lwiw) und legte des Weiteren eine Staatsprüfung an einer
Technischen Hochschule ab, möglicherweise an der Montanlehranstalt im steirischen Le-
oben. Dass er auch an der Technischen Hochschule in Wien als Ingenieur promoviert
haben soll, wie im Familienkreis kolportiert wurde, lässt sich anhand von Quellen nicht
bestätigen12. Der Vater musste seine spätere Frau bereits während seines Studiums kennen-
gelernt haben, da er die letzte juristische Staatsprüfung nur vier Monate vor der Geburt
des ältesten Sohnes ablegte. Seit August 1902 arbeitete Wlodimir von Borodajkewycz als
Beamter der k. k. österreichischen Staatsbahnen, vornehmlich bei der Kaiser Ferdinands-
Nordbahn, die von Wien via Nikolsburg (Mikulov) und Prerau (Přerov) nach Mährisch
Ostrau (Ostrava) führte. Er verblieb dort bis zum Dezember 1917, als er – dem Personalakt
gemäß – einen zweijährigen Dienst im k. k. Eisenbahnministerium antrat13.
Wo die Familie Borodajkewycz damals ihren Wohnsitz hatte, ist unklar, möglicherweise
für eine kurze Zeit im galizischen Stryj. Der Vater wollte die Kinder angeblich zweispra-
chig erziehen und Taras besuchte die dortige Volkschule14. Später zog die Mutter mit den
Kindern nach Niederösterreich, wo diese eine bürgerliche Erziehung in deutscher Sprache
genossen. Der Vater, ein nationalstolzer Ukrainer15, soll sich nach dem Ende des Ersten
11 So schrieb Kriemhilde Borodajkewycz an Hans Sedlmayr im Dezember 1982 : Der Name heißt übersetzt „Sohn
des Bärtigen“ und deutet damit auf einen Wikinger als Ahnherrn hin, die im 12. Jhdt. das Reich von Kiew gründeten
und beherrschten. Damit erklärte sich auch das untypische slawische Aussehen, denn sie haben auch fast immer nur
in ihrem Kreis geheiratet. Das alles wissen wir von dem seinerzeitigen ukr. Pfarrer Dr. Hornikewycz, der so lieb war
und uns die Papiere für den notwendigen „Ariernachweis“ aus der U.d.S.S.R besorgte. ÖStA KA, NL Taras Borodaj-
kewycz (= NL TB), Sig. B1251/9, Beilage zu einem Brief Olaf Borodajkewycz’ an Sedlmayr vom 12.12.1982.
12 NA, Presidium ministerské rady (Präsidium des Ministerialrats), sign. 29, Nr. 4018/1938, Kart. 1112, Inž.
Vladimír Borodajkewicz. Ich danke Mgr. Monika Sedláková für den Hinweis auf und für Kopien dieser Do-
kumente. Nach Auskunft des Archivs der Technischen Hochschule in Wien ist ein Wlodimir Borodajkewycz
nicht unter den Studierenden zwischen 1895–1915 zu finden. Ich danke Frau Dr. Juliane Mikoletzky für diese
freundliche Mitteilung.
13 Ebd.
14 ÖStA AdR, PA Taras Borodajkewycz (= PA TB), Lebenslauf von 07.04.1955.
15 So sah es zumindest Kriemhilde Borodajkewycz, sicherlich auch nach Gesprächen mit ihrem Mann : Seinen
Vater, einen sehr nationalstolzen und selbstbewußten Ukrainer, ich habe ihn noch kennengelernt, er hat ausgeschaut,
wie ein alter Wikinger, so helläugig mit vielen blonden Haaren und Bart, ganz aufrecht und stolz daherkommend,
hat er [i.e. Taras] nur bei Besuchen gesehen. ÖStA KA, NL TB, Sig. B1251/, Unbennante Lebensdarstellung
von Kriemhilde Borodajkewycz (Fragment, ohne Datum). In dieser Hinsicht ist interessant, dass tschechoslo-
wakische Behörden ihm, vielleicht den damaligen Staatsgrenzen entsprechend, die „polnische“ Nationalität
zuschrieben. NA, PMR, Sig. 29, Nr. 4018/1938, Kart. 1112, Inž. Vladimír Borodajkewicz.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625