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538 Jiří Němec
Grund lag nicht nur in der weiterhin mangelhaften finanziellen Ausstattung des Projekts,
sondern auch in anderweitigen Verpflichtungen des Bearbeiters, dessen Aktivitäten sich
seit den politischen Umwälzungen am Ende der 1930er Jahre in andere Richtungen verla-
gerten46. Nach 1945 kehrte der vermutlich beruflich verhindert[e] Borodajkewycz, wie es in
den Unterlagen der Kommission heißt, zu diesem Editions-Projekt nicht mehr zurück47.
Borodajkewycz’ Arbeiten für die Kommission boten ihm keine existenzielle Lebens-
grundlage. Er lebte ohne feste Arbeitsstelle, hatte bereits das dreißigste Lebensjahr über-
schritten und im Jahr 1933 die zehn Jahre jüngere, in Triest geborene Kriemhilde Langer
geheiratet48. Als Konsequenz dieser Situation wandte er sich auch publizistischen und
organisatorischen Arbeiten zu. Von Ende 1932 bis Herbst 1933 arbeitete er als Mitglied
zweier wichtiger Vorbereitungsausschüsse am Programm und im Rahmen der publizisti-
schen Propaganda für den Allgemeinen Deutschen Katholikentag in Wien49. Diese seine
Tätigkeit ist verhältnismäßig bekannt. Für seine Leistung, vor allem die Herausgabe des
Katholikentagführers sowie für die Koordination verschiedener kultureller Veranstaltun-
gen, wurde ihm – wie auch anderen Mitarbeitern, die an der Organisation des Katholi-
kentages beteiligt waren – aus den Händen Kardinal Innitzers das päpstliche Ehrenkreuz
„Pro Ecclesia et Pontifice“ verliehen50. Ich kann völlig ehrlich sagen, schrieb der etwas
überraschte Borodajkewycz an Herr[n] Minister Srbik, dass ich auch nicht das Geringste
dazu getan habe, um diese Auszeichnung zu bekommen – unsere heutige junge Generation,
die so bitter um ihre Existenz kämpft, hat wirklich andere Dinge im Kopf als Orden – aber
46 Ebd. 108. Ähnliches widerfuhr einem zweiten Projekt, der Edition der Dokumente zur österreichischen Zen-
tralverwaltung, auf welches sich die Kommission seit 1936 konzentrierte. Dieses Projekt wurde nach dem
Zweiten Weltkrieg von Friedrich Walter wieder aufgenommen. Srbik schrieb 1941, dass es nach dem „An-
schluss“ überhaupt keine Finanzen für die Projekte gab. Borodajkewycz konnte auch deswegen seine Arbeiten
nicht zu Ende führen. Auf der anderen Seite entfielen einige Schwierigkeiten, da das zu bearbeitende Material
bereits 1936 in 14 Kartons nach Wien entliehen worden war.
47 Fellner, „… ein wahrhaft patriotisches Werk“ (wie Anm. 41) 134. 2003 wurde mit der Fortsetzung der Edi-
tion der Thun’schen Korrespondenz und Denkschriften im Rahmen der Kommission begonnen. Dabei konnte
man auf die Vorarbeiten Borodajkewycz’ zurückgreifen. Vgl. Die Thun-Hohenstein’sche Bildungsreform im
Kaisertum Österreich auf der Grundlage der Korrespondenz von Graf Leo Thun-Hohenstein aus der Minister-
zeit 1849–1860. http://www.oesterreichische-geschichte.at/?page_id=164 (Zugriff 30.07.2014)
48 Aus der Ehe gingen Olaf (geb. 1940) und Henriette (geb. 1942) hervor.
49 Er war Mitglied in den Ausschüssen für Programm und Redner und für Presse und Propaganda. Seine Kolle-
gen aus dem katholischen Milieu waren hohe Geistliche, Ordensmitglieder, ehemalige Politiker, konservative
Publizisten und Schriftsteller, Universitätsprofessoren, Gelehrte und auch Mitglieder des CV und des Bundes
Neuland. Vorsitzender des Programmausschusses und Redner war der Wiener Erzbischof Kardinal Theodor
Innitzer. Im Ausschuss für Presse und Propaganda arbeitete Borodajkewycz unter anderen mit Edmund Glaise-
Horstenau und Eugen Kogon zusammen. Vgl. Allgemeiner Deutscher Katholikentag Wien 1933, 7. bis 12.
September (Wien 1934) 8.
50 Interview Ackerl (wie Anm. 27) 8.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625