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546 Jiří Němec
Einer Beurteilung des Dekans der Philosophischen Fakultät gemäß entfaltete Boro-
dajkewycz eine erspriessliche Lehrtätigkeit87. Die Themen seiner Vorlesungen waren aller-
dings begrenzt und von eminent politischer Wirkung. Er las nur zur neuesten politischen
Geschichte Deutschlands, bot also eine Art nationalsozialistischer „Zeitgeschichte“, was
die Vorlesungstitel – vor allem seit 1940 – klar erkennen lassen88. Im WS 1938/39 hieß
es „Deutsche Geschichte von 1870 bis zur Gegenwart“, ein Jahr später89 verschob er den
Darstellungsbeginns auf 1890 und im ersten Trimester des Jahres 1940 hieß es nunmehr
„Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert“. Ab dem zweiten Trimester 1940 kündigte er –
diesmal für Hörer aller Fakultäten – die Vorlesung „Der Weltkrieg und seine Vorgeschichte“
an, 1941 setzte er mit „Deutschland in der Fesseln von Versailles“ fort und im Jahr dar-
auf hießen die Titel „Von Versailles zum Dritten Reich“sowie „Deutsche Geschichte von
Locarno bis zur Machtergreifung“. Den Bedarf an Vorlesungen zur neuesten politischen
Geschichte, welche für die politische Bildung der Studenten als von großer Wichtigkeit an-
gesehen wurde, konnten diese einstündigen Vorlesungen pro Semester wahrscheinlich nicht
decken. Im März 1942 forderten deshalb die Wiener Geschichtsprofessoren Srbik, Bauer,
Brunner und Heinz Zatschek die Einführung einer zweistündigen Vorlesung, die sich mit
der deutschen und europäischen Geschichte von 1870 bis zur Gegenwart befassen sollte.
Sie dachten dabei an Borodajkewycz als Vortragenden, dem im Antrag beste Qualifikation
als Wiener Archivrat und zugleich Beauftragter des Auswärtigen Amtes für die Zusammenstel-
lung des österreichischen Weissbuches […] [der] für die Zeit seit 1918 über eine Kenntnis auch
der ungedruckten politischen Quellen wie wenig andere verfügte, nachgesagt wurde90. Mit
Erlaubnis des Dekans erweiterte Borodajkewycz deshalb noch im laufenden SS seine Vorle-
sungen. Im WS 1942/1943 wurde eine neue Pflichtvorlesung für Hörer aller Fakultäten im
Rahmen der Weltanschaulichen Vorlesungen eingeführt91. Speziell für Geschichtsstudenten
kündigte Borodajkewycz zusätzlich eine zweistündige Vorlesung über „Hauptprobleme der
abendländischen Geschichte“ an92. Ob die für 1942 angekündigten Vorlesungen tatsächlich
87 Ebd., Schreiben des Dekans an den Reichsminister vom 10.11.1939.
88 Zum Kontext der Geschichtswissenschaft in Wien im Nationalsozialismus siehe Gernot Heiss, Von Österreichs
deutscher Vergangenheit und Aufgabe. Die Wiener Schule der Geschichtswissenschaft und der Nationalsozialis-
mus, in : Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938–1945, hg. v. Dems., Siegfried Mattl, Sebastian
Meissl, Edith Saurer, Karl Stuhlpfarrer (Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik 43, Wien 1989)
39–76 ; Ders., Die „Wiener Schule der Geschichtswissenschaft“ im Nationalsozialismus : „Harmonie kämpfen-
der und Rankescher erkennender Wissenschaft“ ? in : Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel
der Universität Wien, hg. v. Mitchel G. Ash, Wolfram Niess, Ramon Pils (Wien 2010) 397–426.
89 Im SS 1939 hat er nicht gelesen.
90 UAW, Philosophische Fakultät – PA TB, Schreiben an das Dekanat vom 07.03.1942.
91 Ebd., Schreiben Borodajkewycz’ an den Dekan vom 04.05.1942.
92 Borodajkewycz dürfte die Vorlesung „Deutschland und Europa von 1870 bis zum Beginn des 20. Jahrhun-
derts“ wegen deren Umfangs wahrscheinlich in mehreren Teilen konzipiert haben.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625