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Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984) 555
teilung durch seinen Gruppenleiter der NSDAP-Ortsgruppe Schottenfeld, Walter Babel,
im Juli 1938. Borodajkewycz selbst gab zu, dass er seine Privatwohnung der Stabsführung
der Wiener SA für ihre Sitzung oder öfters auch Parteigenossen aus dem Altreich […] als Ab-
steigquartier zur Verfügung stellte, dass er Gutachten für die illegale Landesleitung schrieb,
die der jetzige Staatssekretär Dr. F. Wimmer ausgearbeitet hatte und dass er Organisations-
pläne, Abrechnungen und verschiedene Akten der Wiener SA verwahrte sowie Arbeiten
für das Kulturreferat der NSDAP leistete. Borodajkewycz vergaß auch nicht, auf seine
wissenschaftlichen Arbeiten und Vorträge aufmerksam zu machen, welche den Ideen des
Nationalsozialismus dienten und deshalb in der Systempresse, sogar in französischen Zeit-
schriften heftig angegriffen wurden124. Ähnliche Aussagen sind in einer Beurteilung vom
November 1938 anzutreffen, nach der Borodajkewycz in der Verbotszeit [auch] im Staats-
archiv im nat. soz. Sinne gewirkt hatte, als er mit Wissen des Leiters des Amtes Dr. Hofrat
Bittner Dokumentenabschriften für die N.S.D.A.P. anfertigte125. Noch im Dezember 1942,
als sich bereits kritische Stimmen gegen ihn erhoben, schätzte ihn das Amt für Beamte
der Wiener Gauleitung der NSDAP als zweifellos einer der besten Kenner der Strömungen
im kath. Lager ein, die wir haben, und der dank seiner hervorragender Intelligenz, seiner
persönlichen Liebenswürdigkeit und seines diplomatischen Geschicks sicherlich von grösstem
Wert für die Bewegung sei. Der Partei-Referent Kasper zweifelte nicht an der Lauterkeit
seiner ns-Gesinnung, wobei er auch nach seinen ausgebreiteten Beziehungen zu leitenden
Kreisen der Bewegung urteilte, und sah in ihm in erster Linie einen Wissenschaftler mit
hervorragender Rednergabe und Organisationstalent, die ihn zur Bekleidung eines führenden
Posten besonders geeignet erscheinen ließen126.
Es muss freilich bemerkt werden, dass ideologisch denkende Parteibeamte, die Borodaj-
kewycz politische Charakteristik zu begutachten hatten, seine offene katholische Verwur-
zelung nicht ohne weiteres einordnen konnten. Merkwürdig erschien ihnen beispielsweise,
dass er sehr viel mit katholischen Geistlichen Umfang pflegte127 und auch oft solche beher-
bergt hatte128. Sie mussten sich sogar in der Frage seines angeblichen früheren Daseins als
Priester informieren, von dem Parteigenossen aus Borodajkewycz’ Wohnort offensichtlich
überzeugt waren129. Sein Versuch, eine Brücke zwischen Katholizismus und Nationalso-
zialismus zu bauen, wurde in den internen Bewertungen nirgends erwähnt. In gewisser
Weise positiv für seine nationalsozialistische Beurteilung war das Ergebnis von Durchsu-
chungen seiner Wohnung durch die Gestapo in den Wochen nach dem „Anschluss“, bei
124 Ebd. S. 10, Fragebogen vom 12.06.1938.
125 Ebd. S. 30, Politische Beurteilung der Gauleitung Wien, 25.11.1938.
126 Ebd. S. 36, Politische Beurteilung vom 07.12.1942.
127 Ebd. S. 29, Politische Beurteilung vom Gaupersonalamt vom 06.12.1938.
128 Ebd. S. 30, Politische Beurteilung der Gauleitung Wien, 25.11.1938.
129 Ebd.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625