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Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984) 561
zugleich einer der besten Mitarbeiter auf dem anti-kirchlichen Sektor156. Auch sonst erschien
Borodajkewycz in dem Bericht als ein echter Nationalsozialist, während die Form der un-
aufrichtigen und hinterhältigen Kritik Knolls als eine höchst unkameradschafltiche Art und
Weise angeprangert wurde. Borodajkewycz ist darüber besonders empört, schrieb Höttl, weil
Knoll sich ihm gegenüber äusserst freundlich und nett verhalten hat […], und er erklärte hier,
dass es unter Nationalsozialisten üblich ist, dass man das, was man gegen einen anderen vorzu-
bringen hat, umsomehr wenn dieser von der gleichen Dienstelle ist, diesem ins Gesicht sagt157.
Diesem, im nationalsozialistischen Sinn positiven Bild von Borodajkewycz stellten
zwei SD-Übergeordnete Höttls eine andere Einschätzung entgegen. Einen ausführlichen
Bericht legte dabei SS-Hauptsturmführer Dr. Chlan vor158. Borodajkewycz wurde als
typische[r] Vertreter der in Wien besonders vertretenen katholischen Richtung mit nationalem
Einschlag charakterisiert159. Die Verbindung von Katholizismus und Nationalismus bzw.
Nationalsozialismus wurde nicht positiv eingeschätzt, sondern galt als ein Zeichen, das
Misstrauen erweckte. Aus Borodajkewycz’ Bekanntschaft mit namhaften Persönlichkeiten
des kirchlichen Lebens in Österreich, aus seiner Mitgliedschaft in der politisch wichtigsten
CV-Verbindung „Norica“ (sein Austritt wurde nicht erwähnt), aus seiner Teilnahme an
Veranstaltungen der österreichischen Katholischen Aktion und an der Organisation des
Wiener Gesamtdeutschen Katholikentages, der fälschlich als eine machtvolle Demonstra-
tion des damals noch jungen Dollfußsystems dargestellt wurde, aus seinen freundschaftli-
chen Beziehungen mit Intellektuellen und Gelehrten katholisch-nationaler Prägung160
und schließlich aus der anderswo nicht zu bestätigenden Aussage, er sei die rechte Hand
Schuschniggs gewesen161, wurde der Schluss gezogen, Borodajkewycz sei einer der gefähr-
lichsten Vertreter der katholisch-nationalen Zwischenschicht, deren sich die Kirche von jeher in
schwierigen politischen Situationen mit Erfolg bedient hat162.
156 BAB, SS-Führerpersonalakten 105-A, Nr. 5, Abschrift eines Aktenvermerks für SS-Haupsturmf. Dr. Chlan
vom 27.08.1941.
157 Ebd.
158 Ebd. Aktenvermerk Chlans vom 25.06.1942.
159 Ebd. Schreiben des SS-Sturmbannführers Polte an SS-Sturmbannführer Schellenberg vom 19.09.1941.
160 Ebd. Aktenvermerk Chlans vom 25.06.1942. Es wurden namentlich folgende Personen erwähnt : Der Ger-
manist Günter Müller, der Historiker Eduard Winter, der politische Schriftsteller Karl Anton Prinz Rohan,
der Philosoph und Nationalökonom Othmar Spann, dessen Schüler Walter Heinrich, der Anthropologe und
Pater Martin Gusinde, ein englischer Offizier, Oberst M.G. Christie, der Vertrauensmann des britischen
Diplomaten Robert Vansittart war, und schließlich der Dozent Ernst Lagler.
161 Ebd. Der Professor Ladislaus Koppler, der Borodajkewycz schon vor 1938 gekannt haben soll, meldete dem
Kreisleiter Kowarik 1940, daß Dr. B. die rechte Hand Schuschniggs war und Frau B. immer auf Kosten Schusch-
niggs nach Tirol zur Erholung fuhr. Und weiter : Nach den Angaben Prof. Kopplers hat Schuschnigg dem Dr. B.
ein eigenes Büro eingerichtet. Diese Angaben sind singulär und werden durch andere Quellen nicht belegt.
162 Ebd.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625