Seite - 563 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
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Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984) 563
Eine aus Anlass der Berufung nach Prag erarbeitete ablehnende politische Beurteilung
Borodajkewycz’ von Ende Mai 1943 stammt vom SS-Standartenführer Paul Heigl. Dieser,
als Historiker und Archivar ausgebildet und früh aktiv dem Nationalsozialismus zugetan,
so dass er Österreich verlassen musste, war im März 1938 aus Berlin nach Wien zurückge-
kehrt, um von Seyß-Inquart als kommissarischer Generaldirektor der Nationalbibliothek
in Wien eingesetzt zu werden168. Heigl glaubte Borodajkewycz nicht, Nationalsozialist zu
sein, sondern betrachtete diesen als einen Opportunisten, der hier so gut bekannte typische
Vertreter der sog. „Wanderer zwischen den Fronten“, jener, die sich’s mit keiner Seite verderben,
um immer wieder auf das richtige Ross setzen zu können169. Heigls vertrauliche Beurteilung,
die einer politischen Verurteilung Borodajkewycz’ gleich kommt, war eine Mischung aus
Tatsachen und Spekulationen. Seine Worte entsprangen dem Hass auf alles Katholische,
einem Missverständnis über die katholisch-nationalen Gruppe und aus Misstrauen gegen
jeden Cevauer. Nach Heigls rassistisch begründeter Einschätzung spielte Borodajkewycz
nur ein Maskenspiel, in der seine halbslawische Abstammung […] besonders stark zum
Ausdruck kam : überfliessende Freundlichkeit, die hier treffend mit „Scheissfreundlichkeit“
bezeichnet wird, Sprechen und Schreiben in Superlativen, unleidliche Übertreibungen bei
Anwendung von Höflichkeitsfloskeln ; dabei starker Hang zur Intrige, zur Kritik und zur
Unaufrichtigkeit. In Wirklichkeit sei Borodajkewycz ein skrupelloser, militanter Anhän-
ger des Katholizismus mit geringen wissenschaftlichen Leistungen, dafür aber mit unge-
heurer Anpassungsfähigkeit, ein altes und bis zum „Anschluss“ verbliebenes Mitglied der
CV-Verbindung Norica170 und Anhänger des Schuschnigg-Regimes. Borodajkewycz’ Be-
kenntnis zum nationalsozialistischen „positiven Christentum“ sei nur Aushängeschild. Die
ecclesia militans wird in ihm immer einen treuen Anhänger und Verfechter haben, schrieb
24.02.1943. Dieser Bericht war offensichtlich durch eine dreiseitige Beurteilung des SD-Leitabschnittes
Wien für den Gauhauptamtsleiter Dr. Rösner beeinflusst (undatiert, wahrscheinlich zweite Hälfte 02.1943).
Vgl. ebd. S. 48f.
168 Christina Köstner, Paul Heigl (1887–1945). Ein politisch engagierter Bibliothekar des Instituts für öster-
reichische Geschichtsforschung und der Nationalbibliothek Wien, in : Österreichische Historiker 1900–1945
1 (wie Anm. 25) 569–595.
169 BAB, NS 15/109, S. 29-30, Schreiben Heigls an Dr. Erxleben (Hauptamt Wissenschaft) vom 30.05.1943.
170 Heigl bezweifelte in seiner Beurteilung (Ebd. S. 30–33, Beurteilung Borodajkewycz’ vom 29.05.1943), dass
Borodajkewycz aus der CV-Verbindung vor dem „Anschluss“ ausgetreten sei : B.’s nach dem März 1938 ge-
machte Angabe, es sei schon 1936, ein andermal wieder, er sei im Feber 1938 aus der Cevau-Verbindung ausgetre-
ten, unter deren Führung die Klerikalen knapp vor dem Umbruch noch ihr „Hitler verrecke“ ! vor der Universität
brüllten, hat er selbst niemals beweisen können. Es fand sich auch in den sehr sorgfältig geführten Akten, vor allem
nicht im Nachlass des alten „Norikaners“ Dr. [Engelbert] Siegl, der Geschäftsführer des österreichischen Cevau-
Verbandes war, irgend eine Vormerkung, die auf diesen „rechtzeitigen“ Austritt hingedeutet hätte, sodass mit Fug
und Recht angenommen werden kann, dass B. am Tage des Umbruches noch „Alter Herr“ der „Norica“ war ; er
hätte den Austritt auch kaum seiner Ambitionen wegen riskiert, ehe nicht Schuschnigg gestürzt war !
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625