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564 Jiří Němec
Heigl zusammenfassend am Ende seiner Beurteilung. Borodajkewycz sei wie einer ihrer
Wachhunde, die, in alle möglichen Organisationen und Kreisen eingebaut oder eingedrungen,
darauf zu achten haben, dass alle diese nicht ins akatholische oder gar antikatholische Fahr-
wasser abrutschen171.
Zu diesen Äußerungen Heigls sei bemerkt, dass dieser seit den 1920er-Jahren mit
Knoll befreundet war und bereits im April 1938 mit Borodajkewycz in einen scharfen
persönlichen Konflikt geriet. Borodajkewycz versuchte damals – offensichtlich vergebens
– ein Parteigerichtsverfahren gegen Heigl einzuleiten, weil dieser seine nationalsozialis-
tische Einstellung angezweifelt und sich über ihn abwertend geäußert hatte. In diesem
Licht zeigt sich der deutliche Verlust der politischen Zuverlässigkeit Borodajkewycz’ in
Kreisen des SD und auch sonst in der NSDAP im Jahre 1942/1943 als das Ergebnis eines
Streits verschiedener weltanschaulicher Cliquen nationalsozialistischer Gelehrtenkreise in
Wien. Es wäre illusorisch, das nationalsozialistische Milieu als einen weltanschaulichen
Monolithen zu betrachten. Vielmehr scheint es, dass in dem latenten Wiener Machtstreit
die Katholisch-Nationalen, also die nach einer Vereinigung von Nationalsozialismus und
Christentum strebenden völkischen Katholiken, an Einfluss verloren hatten bzw. aus der
Sicht der nur „gottgläubigen“ Nationalsozialisten verlieren sollten. Für diesen internen
„Machtkampf“ gibt es zahlreiche Indizien : Bereits 1939 starben bei zwei angeblich un-
durchsichtigen Autounfällen zwei bedeutende Personen des katholisch-nationalen Mi-
lieus : Der Dozent des universitären Instituts für Völkerkunde, Fritz Flor, der zum Stab
Seyß-Inquarts gehörte, und der letzte österreichische Außenminister, Wilhelm Wolf, der
bereits ein Jahr nach dem „Anschluss“ seinen Glauben an die Möglichkeit einer Verbin-
dung zwischen Katholiken und Nationalsozialismus verloren haben soll. Auch die Gali-
onsfiguren Glaise-Horstenau und Seyss-Inquart wurden nicht mehr in Wien gebraucht,
sondern auf verschiedene – wenn auch hohe – Stellen in den okkupierten Ländern ver-
setzt172. Im Februar 1941 wurde die Redaktion der bisher einflussreichen katholischen
Wochenschrift „Schönere Zukunft“ wegen Störung und Zersetzung der Erziehungsarbeit
des Führers von der Gestapo durchsucht, die Wochenschrift verboten und der Hauptre-
daktor, Josef Eberle, der schon nach dem „Anschluss“ von der Gestapo verhört worden
war, für mehrere Monate verhaftet ; nach seiner aus gesundheitlichen Gründen erfolgten
Freilassung erhielt er Publikationsverbot173. Die ehemaligen Katholisch-Nationalen wur-
den – wie es gerade bei Borodajkewycz durch seine geistigen Fähigkeiten der Fall war – von
171 Ebd. S. 30–33.
172 Broucek, Persönlichkeiten (wie Anm. 97) 10–15, und Weinzierl, Prüfstand (wie Anm. 97) 73.
173 Zitat nach Karl Buchheim, „Eberle, Joseph“, in : NDB 4 (1959) 244 ; Art. „Josef Eberle“ auf der Web-
seite des Österreichischen Cartellverbandes : https://www.oecv.at/Biolex/Detail/39800001 (Letzter Zugriff
28.10.2014).
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625