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566 Jiří Němec
zu unterlegen, zumal die deutschen Heere damals im Osten in ständigem Vormarsch waren.
Auch das Leben des Angeschuldigten, seine Vorträge und seine sonstige Haltung sprechen gegen
die Annahme einer defaitistischen Äußerung. Zudem wehrt sich der Angeschuldigte gegen den
Ausschluß aus der Partei mit drastischen Worten, die zu erkennen geben, daß er an der Partei
hängt. Das Gaugericht änderte letztlich das ursprüngliche Urteil des Kreisgerichts und
erteilte Borodajkewycz einen strenge[n] Verweis178.
Glaise-Horstenaus Darstellung gemäß stand die persönliche Feindschaft Knolls und
Heigls auch hinter dieser Anschuldigung gegen Borodajkewycz. Aus deren ideologischer
Sicht war Borodajkewycz ein verkappter Klerikaler, der seine Kinder taufen ließ. Es war
eine Intervention Glaise-Horstenaus bei Baldur von Schirach, die Borodajkewycz zu dem
für ihn günstigen Ende der Angelegenheit verhalf. Borodajkewycz konnte so die Stelle
eines Vizepräsidenten der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft einnehmen und war mit sei-
ner Ehefrau über die unangenehme Angelegenheit natürlich sehr erschüttert. Allerdings
soll Borodajkewycz auch in der Stimmung gewesen sein, die ganze Mitgliedschaft hin[zu]
schmeißen, wäre damit nicht zugleich die Verweigerung seiner Bestätigung als frischgebackener
Hochschulprofessor in Prag verbunden“179. So blieb er weiterhin Mitglied der NSDAP, auch
wenn seine Professur an der Deutschen Karls-Universität nicht bestätigt werden sollte.
Nach dem Ende des Dritten Reiches sollte Borodajkewycz behaupten, dass sein Beharren
auf der Parteimitgliedschaft aus rein pragmatischen Gründen – nämlich zu seinem Schutz
– erfolgt war. Gegen Ende des Krieges kann man bei Borodajkewycz vielleicht eine Dis-
tanzierung vom Nationalsozialismus ablesen. In seiner einzigen Veröffentlichung aus die-
ser Zeit, dem Aufsatz „Die überstaatlichen Lebensformen in Wirklichkeit und Sehnsucht“
vom September 1944, kritisierte er indirekt jeden partikularen, nur auf das eigene Volk
zentrierten egoistischen Nationalismus und lobte als beste politische Lebensform für Eu-
ropa das universale abendländische Imperium, das ein Reich des Friedens sein müsse und
das durch imperiale, nicht imperialistische Gedanken bewegt werden und somit nicht nur
auf der Kraft des Schwertes beruhen solle. Dieser Text passte zwar gut in die Europa-Ideo-
logie, die das NS-Regime in den letzten Monaten des Krieges propagierte, jedoch brachte
Borodajkewycz sein nicht explizit „deutsches“, sondern „abendländisches Imperium“ mit
keinem Wort in Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus oder Adolf Hitler. Eine
gewisse Distanz vom fanatischen Nationalsozialismus der letzten Kriegsmonate und eine
Kriegsmüdigkeit sowie Friedenshoffnung drückte Borodajkewycz aus, als er am Ende des
Aufsatzes schrieb : „Durch das erschütternde Erlebnis der zwei größten Kriege aller Zeiten
und aller Geschlechter ist uns der Blick wieder aufgegangen für den Sinn und für die
Notwendigkeit überstaatlicher, ordnender Lebensformen, für das hohe Gut des Friedens,
178 General im Zwielicht 3 (wie Anm. 99) 237.
179 Ebd.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625