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568 Jiří Němec
Eine wichtige Frage wurde noch nicht thematisiert : Was für ein Verhältnis hatte Boro-
dajkewycz zu Juden und wie konnte sein später so virulenter Antisemitismus entstehen ?
Es ist bemerkenswert, dass auch bei Borodajkewycz wie bei vielen „gelehrten“ Protagonis-
ten des NS-Regimes in veröffentlichten und unveröffentlichten Texten sowie in amtlichen
und privaten Korrespondenzen weder direkte noch indirekte antisemitische Aussagen zu
finden sind. Allein dieser Umstand bedeutet aber nicht, dass Borodajkewycz, der ja den
Habitus eines überzeugten Nationalsozialisten auszudrücken bedacht war, kein Antisemit
war. Antisemitismus war ein konstitutives Merkmal der Völkischen und der NS-Ideologie
und jeder, der sich mit dem NS-Regime identifizierte, vertrat dieses „Merkmal“ oder
musste es zumindest tolerieren. Das Fehlen eigener antisemitischer Aktivität ist ein Zei-
chen dafür, dass Antisemitismus nicht die tragende Motivation der Identifikation mit
dem NS-Regime war. Einer späteren Erinnerung seiner Frau nach waren einige Mitschü-
ler Borodajkewycz’ jüdischen Glaubens und er soll einem von ihnen im Sommer 1938
bei der Flucht aus der nunmehrigen „Ostmark“ geholfen haben184. Borodajkewycz wusste
also über die antijüdischen Repressionen Bescheid, lehnte es aber letztlich ab, etwas gegen
diese zu unternehmen, scheint aber auch nicht ihr Nutznießer gewesen zu sein. In einer
späteren Zeugenaussage vor dem Wiener Strafgericht erinnerte er sich, dass ihm eine ari-
sierte Wohnung zur Verfügung gestellt wurde. Man teilte mir diese Wohnung zu. Ich habe
sie mir angeschaut und gesagt, daß noch Leute drinnen sind und daß ich die Wohnung auf
deutschfreundlich galt und helfen sollte, und einen Koffer voller Pfundnoten. Wie wir nach dem Krieg erfuhren,
waren es die berühmten „Gefälschten“. Davon solle 1/3 die deutsche Botschaft bekommen, 1/3 der S.D. und 1/3
mein Mann für sich selbst, um über das nötige Geld zu verfügen, um Christie, wo der es eventuell vorschlug, treffen
zu können. Auch für den Fall, dass diese Mission „auffliegt“, dann muss er bis Kriegsende in Spanien bleiben, denn
im Zugriffsbereich des deutschen Reiches ist ihm der Tod als Hochverräter sicher, denn dass Himmler davon weiss,
muss geheim bleiben. Ich käme mit den Kindern ins K.Z. in Sippenhaft, über das rote Kreuz kann er dann aber
aus Spanien Pakete schicken. Ich soll mich mit diesen Gedanken vertraut machen und darauf vorbereitet sein. Es
hat mich nicht sehr aufgeregt, erstens hatte ich keine Ahnung, was ein K.Z. bedeutet, und zweitens waren wir fest
überzeugt, dass der Krieg sehr bald aus und der Spuk vorbei ist. […] Das Projekt war so weit gediehen, dass besag-
ter Koffer schon bei uns stand. Mein Mann, der den Inhalt sehen durfte, sagte, so viel Geld hab ich in meinem Le-
ben nie gesehen. Er wurde von einem S.D. Mann wieder abgeholt, weil die Reise immer wieder verschoben werden
musste. Das Problem, das immer schwieriger wurde, war der Transport meines Mannes nach Madrid. Bei Tag war
ein Fliegen nicht mehr möglich und die Nachtflüge waren immer überbesetzt, bis auch die eingestellt werden muss-
ten. So unterblieb alles und nur diese Briefe blieben von dem Plan. Siehe : ÖStA KA, NL Taras Borodajkewycz,
Sig. B1251/9, Schreiben o. D. Hilde Borodajkewycz’ an Peter Broucek. Der erwähnte Oberst Christie war
vor dem Krieg ein britischer Oberst und Borodajkewycz war mit ihm seit Anfang der 1930er-Jahre befreun-
det, was der Briefwechsel im NL Borodajkewycz beweist.
184 ÖStA KA, NL TB, Sig. B1251/172, Schreiben Hilde Borodajkewycz’ an Peter Broucek vom 25.07.1988. Bo-
rodajkewycz half einem seiner Schulfreunde, einen Koffer aus dessen Wohnung, die augenscheinlich von der
Gestapo beobachtet wurde, zu holen und bot ihm seine Wohnung für eine Übernachtung vor der Ausreise
an.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625