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570 Jiří Němec
sodass Borodajkewycz bis zum Sommer 1942 warten musste, um in Betracht für eine Be-
rufung an eine Universität zu kommen. Es wurde ihm ein Extraordinariat für neuere Ge-
schichte mit besonderer Berücksichtigung Südosteuropas an der Deutschen Universität
in Prag angeboten. Wie sich aber nach einem hoffnungsvollen Anfang bald zeigen sollte,
entsprach Borodajkewycz nicht den Vorstellungen der an der Lenkung des Wissenschafts-
betriebs in Prag maßgeblich beteiligten dortigen SD-Mitarbeiter.
Die nunmehr so bezeichnete „Deutsche Karls-Universität“ in Prag wurde mit 4.
November 1939 in die Verwaltung des Deutschen Reiches übernommen und somit in
das Netz der Reichsuniversitäten eingegliedert189. Kurz vorher waren alle tschechischen
Hochschulen inklusive der tschechischen Karlsuniversität im Protektorat Böhmen und
Mähren von den NS-Machthabern geschlossen worden. Die Bedeutung der „Deutschen
Karls-Universität“ sollte mit einer programmatischen Zielsetzung auf Erforschung des
europäischen Ostens angehoben und ihre Daseinsberechtigung legitimiert werden, und
im Endeffekt sollte sich die gesamte universitäre Forschung und Lehre in dieser Rich-
tung profilieren. In Konkurrenz mit anderen einflussreichen parteigebundenen Instituti-
onen – vor allem mit der „Hohen Schule“ der NSDAP (Alfred Rosenberg) – wurde vom
Prager Universitätsrektor eine interdisziplinäre universitäre Forschungsstiftung vorberei-
tet. Im Lauf der ersten Hälfte des Jahres 1942 wurde diese Stiftung als wissenschaftli-
che Institution mit enger personeller Beziehung zur Universität, allerdings unter direkter
Kontrolle des Reichsprotektors, des Prager SD bzw. des RSHA, eingerichtet190. Aufgabe
dieser Stiftung war die wissenschaftliche Untermauerung der aktuellen und zukünftigen
deutschen Politik in Böhmen und Mähren. Dabei handelte es sich vor allem um eine „ras-
sische“ „Umstrukturierung“ der Bevölkerung Böhmens und Mährens sowie letztlich des
„slawischen Ostens“, speziell in der Ukraine. Nach dem Tod des stellvertretenden Reich-
sprotektors Reinhard Heydrich im Juni 1942 wurde die Stiftung als „Reinhard Heyd-
rich Reichstiftung für wissenschaftliche Forschung in Prag“ benannt. Zur Organisation
und wissenschaftlichen Leitung der Stiftung und längerfristigen Planung der Universität
wurde wahrscheinlich auf Weisung Heydrichs ohne Wissen der Philosophischen Fakultät
Borodajkewycz wurde als zweiter genannt : An zweiter Stelle würde ich (für die Vereinigung der beiden Fächer
oder nur für neuere Geschichte) Taras empfehlen. Aber der kommt sicherlich einmal auf eine staatliche Professur.
Siehe Heinrich Ritter von Srbik. Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers 1912-1945, hg. v.
Jürgen Kämmerer (Boppard am Rhein 1987) 476–477, Nr. 303f., Schreiben Hirschs vom 10.08.1937 und
Srbiks vom 13.08.1937.
189 Vgl. Alena Míšková, Die Deutsche (Karls-) Universität vom Münchener Abkommen bis zum Ende des
Zweiten Weltkrieges (Universitätsleitung und Wandel des Professorenkollegiums) (Praha 2007) ; Ota Kon-
rád, Dějepisectví, germanistika a slavistika na Německé univerzitě v Praze 1918-1945 (Praha 2011).
190 Vgl. Jiří Němec, Pražská věda mezi Alfredem Rosenbergem a Reinhardem Heydrichem. K prehistorii Říšské
nadace Reinharda Heydricha pro vědecká bádání, in : Studia historica brunensia 58 (2011) 85–105.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625