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574 Jiří Němec
delt worden war204, deutet an, dass bei der Entscheidung für Borodajkewycz verschie-
dene konkurrierende Interessen von Staats- und Parteistellen eine Rolle gespielt hatten.
Das Extraordinariat für neuere Geschichte mit Berücksichtigung Südosteuropas hing mit
dem Aufbau der späteren Reinhard-Heydrich Stiftung zusammen, obwohl kein eigenes
Institut für Geschichte Südosteuropas in der Stiftung entstand205. Die Ausrichtung auf
Südosteuropa gehörte zu älteren Plänen des Staatssekretärs Karl Hermann Frank, in Prag
neben der Ostforschung auch die Südostforschung zu installieren und Prag dadurch zu
einem Zentrum dieser Forschungen zu machen. Bereits im Februar 1940 dachte Frank
an die Möglichkeit, in Prag die gesamte NS-Südostforschung zu konzentrieren. Heydrich
lehnte aber diese ambitionierte Idee ab und machte Frank darauf aufmerksam, dass das
wissenschaftliche Zentrum der Südostforschung bisher nicht in Wien lag, wie Frank irr-
tümlich glaubte, sondern in Berlin unter Führung des SS-Standartenführers Franz Albert
Six, der im RSHA tätig war, an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Uni-
versität entstanden war206. Zwei Jahre später griffen Heydrich – mittlerweile stellvertre-
tender Reichsprotektor in Böhmen und Mähren – und Frank auf die ursprüngliche Idee
zurück. In Prag sollten zuerst wirtschaftliche deutsche Interessen im Südosten konzent-
riert werden, wobei Prag eng mit Wien zusammenarbeiten sollte, weil in Wien die Südost-
europa-Gesellschaft unter der Präsidentschaft des Gauleiters und Reichsleiters Baldur von
Schirach ihren Sitz hatte. Im Rahmen einer Prager Tagung dieser Gesellschaft, die zusam-
men mit der Deutschen Gesellschaft für Wirtschaft in Böhmen und Mähren in Dezem-
ber 1941 veranstaltet wurde, war Frank zum Vizepräsidenten dieser Gesellschaft ernannt
204 Konrád, Dějepisectví (wie Anm. 189) 256, nimmt an, Valjavec hätte nicht nach Prag gehen wollen. Es ist
fraglich, ob Zatscheks obiges Schreiben so zu deuten ist, dass Valjavec gerne nach Prag gegangen wäre. Valja-
vec schrieb am 22.10.1942 an Anton Ernstberger (Bayerisches Hauptstaatarchiv München, Südost-Institut,
Bd. 56) : Anlässlich eines Historiker-Lagers in Augsburg habe ich von Herrn Dekan Hofmann erfahren, dass sich
das Ministerium für Herrn Borodajkewicz entschieden hat, so dass damit die Möglichkeit meiner Berufung nach
Prag gegenstandslos geworden ist. Ich möchte angesichts dieser Wendung nicht versäumen, auch Ihnen für Ihr Wohl-
wollen zu danken, das Sie mir im Zusammenhang mit den Prager Berufungsabsichten entgegengebracht haben.
Hoffentlich ergibt sich in absehbarer Zeit einmal die Möglichkeit zu einem persönlichen Kennenlernen. Diese
Sätze kann man auch als einen Ausdruck kollegialer Höflichkeit gegenüber Personen interpretieren, die sich
um seine Prager Berufung bemüht hatten. Auf der anderen Seite deutet Valjavec im Briefwechsel mit Winter
(Ebd., Bd. 61) vom 30.04.1942, also ganz am Anfang der Tätigkeit Beyers in Prag, die Möglichkeit an, dass
er in Prag erscheinen könnte : Es ist übrigens nicht ausgeschlossen, daß ich demnächst einmal in Prag zu tun
haben werde. Ob er einen einmaligen Besuch oder eine längere Tätigkeit in Prag meinte, ist nicht zu klären.
Aufschlussreich ist, dass dieses Schreiben eine Antwort auf einen Brief Winters vom 20.04.1942 darstellt,
indem steht : Wir hoffen Sie in Prag haben zu können, aber leider sind Sie an anderer Stelle dringender nötig.
205 Ein solches Institut (auch als Institut für südost-europäische Geschichte) schien aber in den Plänen zur Stif-
tung auf, siehe NA, 109-4/1522, Vermerke vom 16.06.1942.
206 NA, Der Staatsekretär beim Amt des Reichsprotektors, Sig. 109-4/331, Schreiben Franks vom 02.02.1940
und Heydrichs vom 16.02.1940.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625