Seite - 581 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
Bild der Seite - 581 -
Text der Seite - 581 -
Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984) 581
gegenüber Deutschland in den Jahren 1933–1939 dokumentieren sollten.237 Diese Stu-
dien erschienen oft in Schriftenreihen, die im institutionellen Netzwerk des Auswärtigen
Amtes verankert waren. Auch das Manuskript Borodajkewycz’ sollte von Anfang an in
Zusammenarbeit mit dem Deutschem Institut für außenpolitische Forschung in Berlin
herausgegeben werden238. Borodajkewycz’ Weißbuch, das in einer Nachkriegsbeurteilung
seiner Tätigkeit im Nationalsozialismus den aufschlussreichen Titel Weissbuch des Auswär-
tigen Amtes über die Heimkehr der Ostmark ins Reich trug, sollte die deutsche Annexion
Österreichs in März 1938 mit Beweisen der langjährigen „Anschlusswilligkeit“ führender
Repräsentanten der österreichischen Politik rechtfertigen239. Der Titel war wahrscheinlich
nicht der offizielle und auch nicht endgültige des geplanten Werkes. In dem oben bereits
erwähnten Gutachten vom Juli 1944 zu Borodajkewycz’ wissenschaftlicher Arbeit war es
vom Gutachter Anton Ernstberger kurz als „Österreich-Weissbuch“ betitelt worden. Ernst-
berger widersprach im Gutachten dem damaligen Misstrauen gegenüber Borodajkewycz’
„klerikale[r]“ Geschichtsauffassung seitens der NSDAP entschieden und stellte eindeutig
fest, dass die Aktensammlung im Auftrag des Auswärtigen Amtes und mit Wissen und Un-
terstützung der Reichsführung SS vorbereitet worden war. Dem Verfasser sei deswegen auch
besonders vertrauliches Quellenmaterial zur Verfügung gestanden. Ernstberger beurteilte
das Manuskript im Umfang von über 300 Druckseiten als ein Quellenwerk von ausseror-
237 Deutschland – England 1933–1939. Die Dokumente des deutschen Friedenswillens, hg. von Friedrich Ber-
Ber (Veröff. des Deutschen Instituts für außenpolitische Forschung 7, Essen 1940) ; Europäische Politik
1933–1938 im Spiegel der Prager Akten, hg. von Friedrich BerBer (Veröff. des Deutschen Instituts für
außenpolitische Forschung 8, Esssen 1941).
238 ÖStA KA, NL TB, Sig. 1251/129, Schreiben Borodajkewycz’ an Rektor der Hochschule für Welthandel Prof.
Julius Wirl vom 11.05.1958. Borodajkewycz führte 1958 noch das Institut für auswärtige Politik in Ham-
burg an. Dieses war aber von Außenminister Joachim von Ribbentrop in das Deutsche Institut für außen-
politische Forschung in Berlin zur einer wichtigen Institution des Informations- und Propagandadienstes im
Rahmen des Auswärtigen Amtes umgewandelt worden und gehörte offiziell der Berliner Universität an. Vgl.
Peter Longerich, Propagandisten im Krieg. Die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes unter Ribbentrop
(München 1987) 52.
239 ÖStA KA, NL TB, Sig. B1251/15, Kopie eines Schreibens des Leiters der politischen Abteilung im Österrei-
chischen Forschungsinstitut für Wirtschaft und Politik L. von Tončić an den österreichischen Minister Hein-
rich Wildner vom 24.05.1948 mit einer politischen Beurteilung von Borodajkewycz. Der Verfasser schätzte
die Aktensammlung sehr hoch ein und deutete an, dass das gesamte Material nach 1945 auch zur politischen
Erpressung ausgenutzt werden könnte : Jedoch hatte er auf diese Weise Gelegenheit, auch in die kleinsten Details
Einblick zu nehmen und weiss praktisch über jeden Österreicher in halbwegs einflussreicher Stellung, ob und wie er
sich an das ns-Regime angebiedert hat. Wenn er seine Stellung zu Erpressungen ausnützen wollte, hätte er gewalti-
gen Einfluss, da er z.B. die Aufnahmedaten des Bundespräsidenten Renner als Anwärter in die NSDAP, mancher
später entregistrierter Regierungsmittglieder und vieler Politiker besitzt. In seinem Besitz befindet sich auch die
Originalfassung des Schuschnigg-Buches : „Requiem in Rot-Weiss-Rot“, wie es dieser im KZ niederschrieb. Diese
Originalfassung ist in vielen Teilen Zustimmung zu vollzogenen Anschluss (Abschnitte aus dieser Fassung erschie-
nen in der kommunistischen Presse 1946/47 und dürften durch Dr. B. an diese gelangt sein).
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625