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582 Jiří Němec
dentlicher Bedeutung und charakterisierte den Inhalt als Akten und sonstige Zeugnisse der
Rumpfstaates Österreich zum Deutschen Reich in der Zeit von 1918 bis 1938, die zur Kenntnis
des Kampfes der Deutschen in den Donau- und Alpenländern nach dem Zusammenbruch der
österreichisch-ungarischen Monarchie, besonders zur Erkenntnis des schweren und heissen Rin-
gens dieser vom grossen Volkskörper politisch abgetrennten Deutschen um die Rückkehr zum
Reich beitragen sollten240.
Sollte das große Werk fast vollendet gewesen sein, so stellt sich die Frage, warum es
nicht erschien ? Die Quellen bieten zwei Antworten : Die erste und wahrscheinlichste Ant-
wort findet sich in der oben erwähnten politischen Beurteilung Borodajkewycz’ aus dem
Jahr 1948. Borodajkewycz soll angeblich ein Gegner des Kreises um den nationalsozialisti-
schen Chefideologen und Leiter des Amtes für NS-Schrifttum, Alfred Rosenberg, gewesen
sein und erhielt deswegen nicht die parteiamtliche Genehmigung zum Druck241. Die
zweite Antwort kann aus verschiedenen Aussagen Borodajkewycz’ aus den 1950er-Jahren,
besonders aus seinen Briefkonzepten an ein nicht bekanntes wissenschaftliches Institut
in der Bundesrepublik Deutschland, erschlossen werden. In diesen Briefen bemühte sich
Borodajekwycz um eine wissenschaftliche Unterstützung für eine Fortsetzung und den
Abschluss seiner Forschungen sowie um Herausgabe des Manuskripts.
Diese Briefe geben darüber Aufschluss, dass er den Auftrag zur „Anschluss“-Akten-
sammlung tatsächlich vom Auswärtigen Amt in Berlin im Januar 1940 bekommen hatte
und diesen angeblich nur unter der Voraussetzung annahm, dass die Publikation nach wis-
senschaftlichen Grundsätzen ausgearbeitet werde242. Nach seiner eigenen Initiative wurde
der Zeitrahmen des Themas erweitert und konzertierte sich nicht mehr nur auf die un-
mittelbare Vorgeschichte des „Anschlusses“ vom März 1938, sondern erstreckte sich auch
auf die Zeit seit 1918. Borodajkewycz begründete seine Initiative wie folgt : Ich erklärte,
es sei notwendig, […] der Welt die Fülle der politischen und diplomatischen Bestrebungen zu
zeigen, die Österreich seit 1918 aufgewendet hatte, um die Welt zu überzeugen, dass es ein
deutscher Staat sei und nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, dem damals giltigen
Prinzip der internationalen Rechtsvorstellungen, das Anrecht auf die von ihm gewünschte
Vereinigung mit dem deutschen Staat habe243. Neben dem Quellenstudium in Wiener Ar-
240 ÖStA/HHStA, AdR, BMI/GA, 217 R, Taras Borodajkewycz, S. 59, Abschrift des Gutachtens Ernstbergers
vom 21.07.1944.
241 ÖStA KA, NL TB, Sig. B1251/15, Xerox-Kopie eines Schreibens des Leiters der politischen Abteilung im
Österreichischen Forschungsinstitut für Wirtschaft und Politik L. von Tončić an den österreichischen Minis-
ter Heinrich Wildner vom 24.05.1948 mit politischen Beurteilung von Borodajkewycz.
242 ÖStA KA, NL TB, Sig. B1251/7, Konzept eines Schreibens Borodajkewycz’ an unbekannten Adressaten vom
21.02. 1952. Siehe Quellenanhang.
243 ÖStA KA, NL TB, Sig. B1251/7, Konzepten von zwei teilweise gleichen Schreiben Borodajkewycz’ an unbe-
kannten Adressaten vom 21.02.1952 und vom Jänner 1954.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625