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Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984) 583
chiven gelang es Borodajkewycz angeblich auch – vielleicht dank seiner Zusammenarbeit
mit NS-Sicherheitsorganen – Einsicht in geheimes Aktenmaterial zu bekommen, welches
das RSHA für einen geplanten politischen Prozess gegen den österreichischen Bundes-
kanzler Kurt Schuschnigg gesammelt hatte. Borodajkewycz konnte auf diese Weise streng
geheimes Material zusammentragen, welches schließlich etwa 630 Einzelstücke umfassen
sollte. Die Sammlung enthielt Gesandtschaftsberichte, Chiffrentelegramme, hinausreichende
Weisungen und Erlässe und sogenannte Hausnotizen des österr. Aussenministeriums, die wich-
tige politische und diplomatische Vorgänge und Gespräche pro domo enthielten244. Das ge-
samte Material konnte ungefähr in zwei gleich umfangreiche Hälften unterteilt werden :
Eine Hälfte bezog sich auf die Jahre 1918–1933 und bot etwa wichtige Akten über An-
schlussbestrebungen während der ersten zwei Jahre der Republik Österreich. Die andere
Hälfte umfasste Material zu den Beziehungen Österreichs zu Hitler-Deutschland von
1933 bis 1938. Darüber hinaus befanden sich auch wichtige Aktenstücke zur Geschichte
des gescheiterten Umsturzversuchs der Nationalsozialisten in Österreich vom Juli 1934 im
Konvolut. Und aus angelegten Prozessakten gegen Schuschnigg konnte Borodajkewycz
sogar zahlreiche Aussagen österreichischer Politiker wie des Bürgermeisters von Wien Richard
Schmitz, des Leiters des Bundespressedienstes Oberst a.D. Walter Adam, des Staatssekretärs
Michael Skubl nach ihrer im März 1938 erfolgten Verhaftung vor dem Untersuchungsrich-
ter (sic), sowie eigenhändige Aufzeichnungen von Altbundespräsident Wilhelm Miklas und
von Aussenminister Dr. Guido Schmidt in seine Sammlung einbeziehen245. Zudem hatte
Borodajkewycz auch verschiedene Aufzeichnungen österreichischer Nationalsozialisten
über die Ereignisse der Monate vor dem März 1938 zur Verfügung246. Zum wertvollsten
Teil der Sammlung gehörten mehrere Texte Schuschniggs, vor allem ein 100 Seiten starkes
maschinengeschriebenes Manuskript, das Schuschnigg nach seiner Verhaftung im September-
November 1938 unter dem Titel „Vom dritten Österreich zur Ostmark“ geschrieben [hatte]
und das in zahlreichen Punkten von seiner späteren Darstellung in dem Buche „Ein Requiem
in Rot-Weiss-Rot“ abweicht247.
Allerding konnte Borodajkewycz – angeblich zu seiner Überraschung – keine Akten
des Berliner Auswärtigen Amtes studieren, was den propagandistischen Zweck des geplan-
ten Weißbuchs unterstreicht. Außerdem kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen
Borodajkewycz und Professor Friedrich Berber, dem Leiter des Deutschen Instituts für
244 Ebd., Konzept eines Schreibens Borodajkewycz’ an unbekannten Adressaten vom 21.02.1952. Siehe Quellen-
anhang.
245 Ebd., Konzept eines Schreibens Borodajkewycz’ an unbekannten Adressaten von 01.1954.
246 Ebd. Es sollte sich dort vor allem das Manuskript „Der Kampf um Macht in Österreich“ mit Berichten und
Erinnerungen des späteren Wiener Gaudozentenbundführers Kurt Knoll befinden.
247 Ebd.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625