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592 Jiří Němec
dieser Grundlage279 knüpfte Borodajkewycz Kontakte zu führenden ÖVP-Politikern,
insbesondere verband ihn mit dem Nationalratsabgeordneten und späteren Bundeskanz-
ler Julius Raab eine langjährige Zusammenarbeit. Bis in die Mitte der 1960er-Jahre ver-
stand es Borodajkewycz, eine Brücke zwischen dem „nationalen“, also deutschnationalen
Lager und der ÖVP zu bauen280.
Man kann dieses Engagement Borodajkewycz’ in der Politik als einen vorsichtigen und
im Prinzip pragmatischen Wechsel in seiner Einstellung zur zweiten Republik deuten.
Sie wissen selbst, hochverehrter Herr Minister, schrieb er im November 1951 an Raab, in
welcher loyalen Weise ich seit über zweieinhalb Jahren, seit unserem Oberweis, zur ÖVP und
damit, wie ich meinte, auch zu Österreich gestanden bin281. Und er erwartete hoffnungs-
voll, dass die Politik ihm mindestens zu einer staatlichen Pension oder noch besser zur
Reaktivierung seiner Anstellung im Wiener Staatsarchiv verhelfen würde. Voraussetzung
dazu wäre seine Einreihung zwischen die nationalsozialistisch Minderbelasteten gewesen
und die Aufhebung seiner Entlassung aus dem öffentlichen Dienst282. Trotz Zusagen von
Beamten des Bundeskanzleramtes und der andauernden Unterstützung seitens des nie-
derösterreichischen Landesparteiobmanns Raab erfüllte sich diese Hoffnung nicht. Im
November 1951 wurde sein Ausscheiden aus dem öffentlichen Staatsdienst endgültig aus-
279 Ebd. Sig. B1521/49, befinden sich verschiedene Aufsätze, Manuskripte, Texte und Wahlpropaganda, die nach
Angabe von Hilde Borodajkewycz aus der Feder ihres Gatten für die Niederösterreichischen Landesparteitage
der ÖVP der Jahre 1957/1958 herrühren. Die Texte weisen eine antisozialistische Ausrichtung auf. In einem
Schreiben an Sedlmayr vom 22.12.1954 (Ebd., Sig. B1521/73) beschreibt Borodajkewycz, wie ihn die Arbeit
für die ÖVP auch in den letzten Tagen seiner Mutter belastete : Mamas Sterbe- und Beerdigungstage waren für
mich Tage eines höllischen Arbeitswirbels, da ich für den Sonntag darauf stattfindenden Parteitag der ÖVP im
letzten Augenblick eine Reihe von Reden fabrizieren musste und von Krankenhaus und Friedhof jedesmal an meine
Schreibmaschine zurückjagte, an der ich dann bis in die tiefe Nacht hinein sass.
280 In Zusammenhang mit der Debatte um eine „österreichische Nation“ führte Borodajkewycz einen Brief-
wechsel mit dem Bundesminister für Unterricht Heinrich Drimmel. Im Februar 1958 bezeichnete er sich als
Anwalt der ÖVP in den nationalen Kreisen. In einem Schreiben vom 16.10.1957 verteidigte er seine Meinung :
Im Übrigen können mich solche Erlebnisse und Erfahrungen [öffentliche Kritik] nicht von der weiteren Verfol-
gung meiner Aufgabe abhalten, alles zu tun, um die alte Kluft zwischen nationalen und katholischen Menschen
in Österreich zu schliessen. Das ist ein echter Auftrag, der mir durch den Gang meines Lebens zuteil geworden ist.
Von ihm kann mich niemand entbinden. Wenn die ÖVP in kritischen Stunden immer wieder meine Hilfe und
meinen Einsatz gegenüber dem nationalen Element in Anspruch nimmt – erst am vergangenen Freitag wurde ich
von der Landesparteileitung Niederösterreichs und von Bürgermeister Dr. [Franz] Wilhelm dringend nach Krems
gerufen, wo die Gemeindewahl vor der Tür steht –, dann muss ich auch das Recht haben, in Fragen, die nationale
Interessen berühren, öffentlich meine Stimme zu erheben. Ich tue es nicht leichtfertig ; davor bewahrt mich schon
meine strenge wissenschaftliche historische Ausbildung und die Verantwortung gegenüber meinem hohen Berufe.
ÖStA AdR, BM Unterricht, PA TB.
281 ÖStA KA, NL TB, Sig. B1251/128, Schreiben Borodajkewycz’ an Raab vom 15.11.1951.
282 ÖStA AdR, BM Unterricht, PA TB, Bundeskanzleramt an Borodajkewycz vom 23.03.1951 (Abschrift).
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625