Seite - 595 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
Bild der Seite - 595 -
Text der Seite - 595 -
Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984) 595
Geschichtsauffassung“ zumindest durch die Kulturgeschichte wiederzubeleben und für
das Geschichtsbewusstsein der neuen Generationen zu retten289. In seinem Engagement
zeigte er sich unbelehrt von den Ereignissen seit den 1930er-Jahren und schwamm so
gegen den Strom der Zeit. Letztlich positionierte er sich im veränderten Klima des nach
1945 erstarkten österreichischen Nationalbewusstseins und der Zeit nach Unterzeichnung
des österreichischen Staatsvertrags von 1955 am historiografischen und politischen rech-
ten Rand290. Und er sah die Möglichkeit, als Dozent Einfluss auf das Geschichtsbild der
jungen Generation zu nehmen und einer angeblichen Politisierung der Wissenschaft ent-
gegenzuwirken291. An der Debatte, die einen wichtigen Schritt auf dem Weg der Formie-
rung der modernen österreichischen Nationalidentität bedeutete, nahm Borodajkewycz
bereits als neu ernannter Hochschulprofessor teil292.
194–337 ; Gernot Heiss, Im „Reich der Unbegreiflichkeiten“. Historiker als Konstrukteure Österreichs, in :
ÖZG 7 (1996) 455–515.
289 Vgl. Taras Borodajkewycz, Jugend und Geschichtsbewusstsein. Festrede auf einer Jahrestagung des Witi-
kobundes in Deutschland am 14. Oktober 1961 in Eberbach bei Heidelberg, in : Beiträge des Witikobundes
zu Fragen der Zeit 10 (1962) 27–36. Noch 1978 verwendete Borodajkewycz ein „gesamtdeutsches“ Zitat
Srbiks als Pointe seines Vorworts zu einer neuen Ausgabe von zwei Srbik-Reden : „Eines der letzten Worte,
die er uns hinterlassen hat, lautet. ‚Wenn es dem deutschen Volke schon versagt ist, politisch und staatlich
eine Einheit zu bilden, so darf doch in ihm nie das Bewußtsein von der gemeinsamen Geschichte und Kultur
und seiner daraus entspringenden Zusammengehörigkeit erlöschen !‘“ Taras Borodajkewycz, Vorwort, in :
Heinrich Ritter von SrBik, Zwei Reden für Österreich. Zum 100. Geburtstag des großen Historikers (Wien
1978) 12.
290 Vgl. Borodajkewycz’ Bekenntnis zu Österreich in seiner Stellungnahme zur Polemik gegen seinen angebli-
chen Hass gegen Österreich in : Die Furche und in : Die Presse vom Herbst 1964 : Sie versucht mich als Gegner
Österreichs hinzustellen und muss den Beweis für diese Behauptung schuldig bleiben. Warum auch sollte ich ein
Gegner dieses meines geliebten Landes sein, in dem ich geboren wurde, in dem ich eine reiche Ausbildung erfahren
konnte, dem meine Frau, meine Kinder und meine Liebsten angehören, in dem ich einem mich beglückenden Be-
rufe obliegen kann ? Ich müsste ein abnormaler Mensch sein. Nein, ich bin natürlich nicht ein Gegner Österreichs,
wohl aber ein Gegner des von dieser ganzen Linksgruppe auf den Schild gehobenen neuen Begriffe einer „Österrei-
chischen Nation“, der gleichzeitigt mit einer Absage an die tausendjährige selbstverständliche Zugehörigkeit zum
deutschen Volks- und Kulturkörper verbunden ist. Das ist mein gutes Recht als Österreicher und als Wissenschaftler
und kein Buchstabe der Verfassung verbietet mir dieses Recht. Ich halte es als für einen anachronischen Versuch, im
Zeitalter der europäischen Integration und einer Überwindung des Nationalismus aus der gottgewollten Volkstums-
ordnung Europas eine eigene österreichische Nation herausschneiden zu wollen. Das ist verstiegener provinzieller
Nationalismus, ein Privileg der Halb- und Ungebildeten. Da bleibe ich lieber in der Tradition so grosser Öster-
reicher wie Prinz Eugen, Stifter, Hofmannsthal, Wildgans und Seipel und möchte auch für Goethe weder Herrn
Skalnik noch Herrn Kreuzer eintauschen. ÖStA AdR, BM Unterricht, PA TB, Schreiben Borodajkewycz vom
01.12.1964.
291 Vgl. Borodajkewycz, Jugend (wie Anm. 289).
292 Vgl. ÖStA KA, NL TB, Sig. B 1521/73, Schreiben Borodajkewycz’ an Sedlmayr vom 06.10.1954, wo er auch
über eine Möglichkeit, ähnlich wie Otto Brunner an eine Universität in Deutschland berufen zu werden,
schreibt : Wie die Dinge im Leben schon seltsam liegen, erhielt ich eine Stunde nach der Mitteilung Heinrichs
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625