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596 Jiří Němec
Im Oktober 1954 entschloss sich das Professorenkollegium der Wiener Hochschule für
Welthandel – einer vom konservativem Geist der Schüler Othmar Spanns, so vor allem
des Volkswirtschaftlers Walter Heinrich, beherrschten Hochschule – ein Extraordinariat
für Wirtschaftsgeschichte, das einige Jahre vakant gewesen war, zu besetzen. Primo loco
wurden auf der Vorschlagsliste Borodajkewycz und Alfred Hoffmann (Oberarchivrat des
Linzer Landesarchivs und Dozent für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Wien) ge-
setzt. Secundo loco stand Jan Jakob van Klaveren, ein niederländischer Privatdozent, der
sich vor allem mit Kolonialwirtschaft beschäftigen wollte293. Obwohl Borodajkewycz seit
seiner Habilitation 1936 keine größere wissenschaftliche Monografie, – schon gar nicht
aus der Wirtschaftsgeschichte – publiziert hatte und sich lediglich auf die Herausgabe
der Werke Srbiks berufen konnte, beharrte die Universität auf Borodajkewycz’ Berufung.
Ausschlaggebend war, dass sich an seiner Seite von Anfang an Rektor Walter Heinrich
positioniert hatte294. Aus Borodajkewycz’ Korrespondenz mit Sedlmayr geht hervor, dass
auch das von der ÖVP kontrollierte Bundesministerium für Unterricht wie ein Turm hin-
ter ihm stand und dass Borodajkewycz’ Berufung seitens des Ministers als eine Art Wieder-
gutmachung für das an Srbik begangene Unrecht betrachtet wurde. Borodajkewycz verriet
Sedlmayr zudem, dass seine Berufung mit recht unakademischen Methoden erreicht worden
war295. Mit den beiden anderen Kandidaten wurde gar nicht verhandelt, schrieb er Sedl-
mayr später im Dezember 1954296. So wurde Borodajkewycz unter Anrechnung bisheriger
über den glücklichen Ausgang der Kommissions- und Kollegiumssitzung einen Brief Klebels mit der Nachricht, dass
meine Chancen in Mainz günstige sein sollen ! Fürs erste bleibe ich aber einmal in Österreich, wo ich infolge der
jüngsten Entwicklungen über die Hochschule hinaus gewisse Aufgaben und Verpflichtungen für mich sehe.
293 ÖStA AdR, BM Unterricht, PA TB, Schreiben des Rektors der Hochschule für Welthandel Heinrich an das
Bundesministerium für Unterricht vom 03.11.1954.
294 Walter Heinrich ist mir sicher gut gesinnt und wünscht aufrichtig, dass ich als Mensch in sein tolles Professo-
renpanoptikum komme. ÖStA KA, NL TB, Sig. B 1521/73, Schreiben Borodajkewycz’ an Sedlmayr vom
23.02.1954.
295 In meiner Wiener Hochschulsache haben die Dinge eine sehr erfreuliche Wendung genommen, wenn auch zum
Teil mit recht unakademischen Methoden. Mein Widerpart war im Sommer Gegenstand heftiger Presseangriffe.
Durch [Manfred] Jasser wurde ihm bedeutet, diese Angriffe könnten sofort eingestellt werden, wenn er zu meiner
Kandidatur ja sage. [Richard] Kerschagl nahm diese Anregung sofort auf und verpflichtete sich, in der demnächst
stattfindenden Kommissionssitzung für mich zu stimmen ! Am nächsten Tag hörten die Angriffe auf. Er wird wohl
die Bedingung einhalten. Damit dürfte ich einstimmig durchgehen. Das Ministerium steht, wie mir der ausge-
zeichnete Drimmel vor 10 Tagen versicherte, wie ein Turm hinter mir und will mich auch mit einem Minderheits-
votum ernennen. Und nun ist Drimmel in den letzten Tagen gar Minister geworden. Er sagte mir sofort nochmals
seine ganze Unterstützung zu, die er, wie er sagte, als eine Art Wiedergutmachung für das an Srbik begangene
Unrecht betrachtet. Nach menschlichem Ermesssen könnte die Sache bis zum Jahresbeginn positiv erledigt sein. Ich
bin diesmal wirklich optimistisch und konnte mir bei der Wahl auch die neuerliche Freundschaft und Sympathie
Raabs sichern. Durch den augenblicklichen Engpass werden wir schon noch hindurchkommen. Ebd., Schreiben
Borodajkewycz’ an Sedlmayr vom 27.10.1954.
296 Ebd, Schreiben Borodajkewycz’ an Sedlmayr vom 22.12.1954.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625