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Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984) 597
Dienstzeiten von 1934 bis 1951 (sic) am 19. März 1955 zum außerordentlichen Professor
für Wirtschaftsgeschichte ernannt297. Bis zu seiner 1972 erfolgten Zwangspensionierung,
nach sieben Jahren eines sich schleppenden Disziplinarverfahren, hatte Borodaj kewycz
diese außerordentliche Professur inne. Ein 1962 vom Rektor seiner Hochschule an das
zuständige Bundesministerium vorgelegter Antrag auf Verleihung einer ordentlichen
Hochschulprofessur wurde zunächst positiv entschieden, sodass ein bereits vorbereitetes
Ernennungsdekret im April 1963 fast auf den Tisch des Bundespräsidenten gelangte298.
In letzter Minute wurde die Ernennung wegen des Gerichtsprozesses, den Borodajkewycz
mit Vertretern der Presse führte, nicht vollzogen299.
Borodajkewycz, neuer Vorstand des Instituts für Wirtschaftsgeschichte, präsentierte
sich am 3. Mai 1955 mit der programmatischen Antrittsvorlesung „Wirtschaftswissen-
schaft und Geschichte“. Diese Vorlesung, die Borodajkewycz zudem im Selbstverlag
publizierte, ist seine einzige veröffentlichte theoretisch-philosophische Abhandlung. Ihr
konservativer kulturpessimistischer Geist gemahnt an Bücher Ernst Jüngers, Arnold Geh-
lens oder Ortega y Gassets. Borodajkewycz wandte sich kritisch gegen Übertechnisierung,
Übermechanisierung und Übermathematisierung des menschlichen Lebens seiner Ge-
genwart und baute seine geschichtswissenschaftlichen Gedanken auf der Idee einer An-
tinomie, welche die „menschlich-geistigen Grundstruktur“ des Menschen darstellt, auf.
Menschen sind ihm „in Gegensätzen verfangene und gerade an Gegensätzen wachsende
Wesen“300. Aus dieser Antinomie wächst Geschichte und auch „das Tragische in der Ge-
schichte“, wie das auch die Generation des Autors seit 1914 erleben konnte301. Als His-
toriker bekannte sich Borodajkewycz zur Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit der ge-
schichtlichen Welt und somit zum Historismus Leopold von Rankes und Srbiks und wies
mehrmals auf das Werk „Land und Herrschaft“ Otto Brunners als ein außergewöhnliches
Beispiel zeitgemäßer Geschichtswissenschaft hin. Er legte Wert auf einen kontextuellen,
komplexen Zugang und im Gefolge Spanns auf eine „geschichtliche Ganzheitsbetrach-
tung“. Wirtschaftsgeschichte soll die „wirtschaftliche Struktur konkreter geschichtlichen
Einheiten“ zwar darstellen, aber es wäre oft „unverständlich und inhaltlos“, wenn nicht
auch andere, so soziale und politische Funktionen historischer Erscheinungen berücksich-
297 ÖStA AdR, BM Unterricht, PA TB, Konzept des Ernennungsdekrets vom März 1955.
298 Ebd., Antrag des Rektors auf Verleihung des Titels Ordentlicher Hochschulprofessor an Borodajkewycz vom
23.03.1962 und 19.02.1963, sowie Vorlagen des Bundesministeriums, März/April 1963.
299 Ebd., Vermerk 17.09.1963 : Der Herr Bundesminister hat aber bereits Ende April die Sektionsleitung dahinge-
hend informiert, daß die SPÖ wegen des anhängigen Prozesses im Ministerrat die Zustimmung zur beantragten
Titelverleihung verweigert.
300 Taras Borodajkewycz, Wirtschaftswissenschaft und Geschichte. Antrittsvorlesung, gehalten an der Hoch-
schule für Welthandel in Wien am 3. Mai 1955 (Wien 1955) 11.
301 Ebd. 9.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625