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Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984) 599
in diesem Beitrag, der auf Borodajkewycz’ Leben und Wirken vor 1945 fokussiert, nicht
näher analysiert werden307.
Borodajkewycz hatte sich, wie bereits erwähnt, nach 1945 innerlich von bestimm-
ten Aspekten der Politik Hitlers distanziert, jedoch nicht von großdeutschen politischen
Zielen. Sein Denken unterlag weiterhin alten völkischen Denkstrukturen, bei denen
ethnische Herkunft, also „völkische Abstammung“, eine zentrale Konstituante sozialer
Realität darstellt. Das führte in Borodajkewycz’ Vorlesungen zur charakteristischen Ka-
tegorisierung der Menschen nach ihrer Volkszugehörigkeit, wie es Ferdinand Lacinas
Vorlesungsmitschrift überliefert308. Bei Personen jüdischer Herkunft, auf deren „Jude
sein“ Borodaj kewycz regelmäßig und anscheinend besonders gern hinwies, wirkte die
Betonung ihrer ethnischen Herkunft nach den Ereignissen des Holocausts besonders
abstoßend, was noch durch seinen rechtskonservativen Darstellungskontext verstärkt
wurde. In diesem Kontext kombinierte er vor allem die Idee des Sozialismus und sozia-
listische Protagonisten mit dem Verweis auf deren jüdische Herkunft. Obwohl Boroda-
jkewycz und sein Rechtsanwalt die Glaubwürdigkeit der Mitschrift Lacinas angriffen und
diese als Fälschung zurückwiesen, bildete diese Darstellung letztlich – in den Medien, im
Parlament und vor Gericht (1965) – das offensichtliche Indiz für den impliziten Anti-
semitismus des Hochschulprofessors. Die inkriminiernden Bemerkungen entstammen
ausschließlich dem öffentlichen Vortrag, während sie in publizierten Texten nicht anzu-
treffen sind. Auch in privaten Gesprächen hat er antisemitische und zynische Äußerun-
307 Eine eingehende Untersuchung dieser zweifellos wichtigen Frage, die mit Entwicklungsprozessen des po-
litischen Diskurses in Nachkriegsösterreich zusammenhängt, würde den Rahmen dieser Studie sprengen.
Der formaljuristische Freispruch Borodajkewycz’ kann unter Missachtung des Kontexts leicht zu dessen
Apologie instrumentalisiert werden, siehe etwa Manfred Stoy, Geschichte des Institutes für Österreichische
Geschichtsforschung (MIÖG Erg. Bd. 50, Wien 2007) 317 : „Von der Beschuldigung, in den Vorlesungen
nationalsozialistisches Gedankengut vertreten zu haben, was am 31. März 1965 zu einer Demonstration mit
einem Todesopfer (Ernst Kirchweger) geführt hatte, wurde er freigesprochen.“ Mehr wird ebd. nicht mitge-
teilt.
308 Lacina wurde später Wirtschaftsexperte der SPÖ und langjähriger Bundesminister für Verkehr und später
Finanzen. Seine Mitschrift aus fünf Zeitgeschichtsvorlesungen Borodajkewycz’ vom Dezember 1961, März
(dreimal) und Mai 1962 wurde während des ersten Gerichtsprozesses 1962/1963 infolge ihrer Anonymität
vom Gericht als Beweisstück abgelehnt. Erst nach Bekanntgabe des Verfassers erkannte der wiederaufgerollte
Gerichtsprozess im Jahr 1965 die Beweiskraft der Mitschrift an. Die Mitschrift wurde veröffentlicht in Fi-
scher, Einer in Vordergrund (wie Anm. 8) 36–43.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625