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600 Jiří Němec
gen verlauten lassen309. Er selbst freilich verstand sie nicht als Ausdruck neonazistischen
oder antisemitischen Denkens310.
Die Äußerungen Borodajkewycz’ und die völkische Charakteristik seiner Gedanken
sind per se aber nicht als Einverständnis mit dem Holocaust zu deuten. Während der
„Pressekonferenz“ an der Hochschule für Welthandel sprach er in diesem Kontext von
den „Judenexzessen“ des NS-Regimes und brachte sein Entsetzen darüber zum Aus-
druck311. Diese Distanzierung ist in seinen Texten allerdings kaum anzutreffen und blieb
auch außerhalb seiner auf der Grundlage der „gesamtdeutschen Geschichtsauffassung“
verfassten Darstellung der Epoche des Nationalsozialismus, in der das Hitler-Regime als
Tragödie der „gesamtdeutschen“ Geschichte gedeutet wurde. Eine, wenn auch nur in-
direkte, Distanz von der Rassismus-Ideologie des Nationalsozialismus kommt zum Bei-
spiel in seinen Erinnerungstexten an Srbik zum Ausdruck312. Borodajkewycz vertrat die
Meinung, dass eine Betonung der mörderischen rassistischen Grundlagen des National-
sozialismus die deutsche Nation mit einer dauernden Geschichtshypothek belasten und
309 1958 soll sich Borodajkewycz nach der späteren Erinnerung des Bonner Regierungsrats Erich Schwarz in
einem Ost-Kolleg der Bundeszentralle für Heimatdienst in Köln zynisch über das Schicksal der Prager und
Wiener Juden geäußert haben. Angeregt von Berichten über die Wiener Demonstrationen gegen Borodaj-
kewycz sandte Schwarz im April 1965 seine Erinnerungen an den Rektor der Hochschule für Welthandel :
Eines Abends – ich bin Sudetendeutscher und 1907 als Österreicher geboren – kam ich bei einem zwanglosen
Gespräch auf die grossen kulturellen Verdienste der Prager und Wiener Juden und natürlich auf ihr furchtbares
Schicksal zu sprechen.[/] Da unterbrach mich Dr. B. brüsk und sagte fast wörtlich : ‚Es muss doch jedem ver-
ständlich sein, dass sich 1938 nach dem Anschluss der Zorn der Wiener gegen die Juden entlud (und sie sich ihrer
entledigten), denn sie waren doch Fremdkörper in Wien ! [/] Ob er auch den in Klammer stehenden Nebensatz
sagte, kann ich heute leider nicht mehr mit Sicherheit behaupten, aber die anderen Redewendungen habe ich mir
ziemlich gemerkt, auch den feindseligen Zynismus, mit dem er sich ausdrückte. (man konnte – um mit Eugen Ko-
gon zu sprechen – förmlich das tückische Glitzern in seinen Augen sehen !) ÖStA KA, NL TB, Sig. B 1521/130,
Xeroxkopie des Briefes von Schwarz an den Rektor der Hochschule für Welthandel vom 16.04.1965.
310 Im Briefwechsel mit Sedlmayr schrieb er am 04.04.1965 (ÖStA KA, NL TB, Sig. B 1521/73) : Ich habe völlig
reines Gewissen, habe natürlich nie antisemitische oder neonazistische Gedanken vorgetragen, wie mir auch lau-
fend von Hörerzuschriften bestätigt wird ; es ist typisch für die Hetze, dass Leute schreien und sich erregen, die nie
in meinen Vorlesungen waren.
311 Er tat das im Rahmen seiner Antwort auf die Frage eines Journalisten zur Verwendung des Wortes „Jude“
vor 1945. Des Weiteren beemerkte er : Das Volk als Ganzes ist ja an diesen Judenexzessen glücklicherweise nicht
beteiligt gewesen. Die also einem kleineren Klüngel des Systems vorbehalten gewesen sind. Viele Leute haben zuletzt
keine Ahnung von den Ereignisen gehabt, nicht wahr. Ich muß sagen, ich habe leider davon gewußt und erfahren,
und war entsetzt darüber. ÖStA KA, NL TB, Sig. B1251/67, Tonbandabschrift der Pressekonferenz bzw.
öffentliche Diskussion vom 23.03.1965, S. 5.
312 An seinem [Srbiks] unbeugsamen Wissenschaftsethos brach sich der Irrgeist der nationalsozialistischen Geschichts-
anschauungen und der seiner Abendland- und Menschheitsvorstellung widersprechenden, mit seinem Glauben an
den Primat des Geistes unvereinbaren Rassenideologien. Siehe Taras Borodajkewycz, Heinrich von Srbik
zu seinem 25. Todestag, in : Presseinformationen des Vereines Österreichischer Arbeitskreis für Kultur und
Geschichte, Nr. 42, Jänner 1976 1–5.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625