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604 Jiří Němec
Rechtsvorstellungen, das Anrecht auf die von ihm gewünschte Vereinigung mit dem deutschen
Staat habe. Heinrich von Srbik und Ludwig Bittner, der damalige Vorstand des Wiener Reichs-
archivs, begrüssten meinen Vorschlag aufs wärmste und sagten mir Rat und Unterstützung zu.
Ich habe dann in monatelanger systematischer Arbeit das im Wiener Haus- Hof- und Staats-
archiv erliegende diplomatische Aktenmaterial, das sich auf die Frage Österreich-Deutschland
von 1918–1938 bezieht, durchgearbeitet ; es war bis dahin für jede Benützung streng gesperrt
gewesen und dürfte auch seither nicht wieder benützt werden, gewisse Stücke ausgenommen,
die bei der Durchführung des Prozesses gegen Dr. Guido Schmidt dem österreichischen Gericht
vorgelegt wurden.
Das von mir auf diese Weise gesammelte Material enthält wertvolle Aufschlüsse über die
Anschlussbestrebungen der Jahre 1918–1920, darunter das bisher in Literatur und Forschung
unbekannte geheime Anschlussprotokoll vom 2. März 1919 zwischen dem deutschen Reichs-
aussenminister Grafen [Ulrich von] Brockdorff-Rantzau und dem österreichischen Aussenmi-
nister Otto Bauer sowie mannigfache Erklärungen von führenden nichtdeutschen Politikern
jener Zeit über die Frage Österreich-Deutschland. In grosser Breite kommt weiter der diplo-
matische Hintergrund der deutsch-österreichischen Zollunionsbestrebungen, die an die Namen
[Julius] Curtius und Johann Schober geknüpft sind, zu Wort. Aus den Jahren 1933–1938 tritt
so ziemlich das gesamte in Wien vorhandene diplomatische Aktenmaterial der Ära Dollfuss-
Schuschnigg in der deutschen Frage in Erscheinung.
Es gelang mir weiters, Einsicht in das Aktenmaterial zu bekommen, das vom Reichssicher-
heitshauptamt für den 1938 geplanten Prozess gegen den österreichischen Bundeskanzler Dr.
Kurt von Schuschnigg gesammelt worden war. Deses Material enthält u. a. wichtige Hinweise
zur Geschichte des Juliputsches 1934 sowie zahlreiche Aussagen österreichischer Politiker nach
ihrer im März 1938 erfolgten Verhaftung vor dem Untersuchungsrichter. Es enthält weiters
ein umfangreiches maschingeschriebenes Manuskript, das Schuschnigg nach seiner Verhaftung
in den Monaten September–November 1938 unter dem Titel „Vom dritten Österreich zur
Ostmark“ für seinen Sohn zusammenstellte und das in zahlreichen wesentlichen Punkten von
Schuschniggs späterer Darstellung in seinem Buch „Ein Requiem in Rot-Weiss-Rot“ abweicht.
Schliesslich befinden sich in dieser Materie zwei grössere Arbeiten „Die Vorgeschichte des An-
schlusses“ und „Der Anschluss im März 1938“, in denen ein ehemaliger prominenter nati-
onalsozialistischer österreichischer Führer aus der Umgebung [Artur] Seyss-Inquarts in sehr
subtilen Aufzeichnungen den fast täglichen Gang der Ereignisse vom Sommer 1937 bis zum
März 1938 festgehalten hat.
Ich bemühte mich, durch persönliche Fühlungnahme mit Persönlichkeiten, die an der Ge-
schichte der Märztage des Jahres 1938 massgeblich beteiligt waren, konkrete Tatsachen über die
Ereignisse jener Zeit festzuhalten und erhielt eigenhändige Aufzeichnungen von Altbundesprä-
sident [Wilhelm] Miklas und von Ausseminister Dr. Guido Schmidt.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625