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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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Incipit Hitler Es bleibt ein unumstößliches Gesetz der Geschichte, daß sie gerade den Zeitgenossen versagt, die großen Bewegungen, die ihre Zeit bestimmen, schon in ihren ersten Anfängen zu erkennen. So vermag ich mich nicht zu erinnern, wann ich zum erstenmal den Namen Adolf Hitler gehört, diesen Namen, den wir nun seit Jahren genötigt sind, jeden Tag, ja fast jede Sekunde in irgendeinem Zusammenhang mitzudenken oder auszusprechen, den Namen des Menschen, der mehr Unheil über unsere Welt gebracht als irgendeiner in den Zeiten. Es muß jedenfalls ziemlich früh gewesen sein, denn unser Salzburg war mit seinen zweieinhalb Stunden Eisenbahndistanz eine Art Nachbarstadt Münchens, so daß auch dessen bloß lokale Angelegenheiten uns rasch vertraut wurden. Ich weiß nur, daß eines Tages – das Datum könnte ich nicht mehr rekonstruieren – ein Bekannter herüberkam und klagte, München würde schon wieder unruhig. Insbesondere sei da ein wüster Agitator namens Hitler, der Versammlungen mit wilden Prügeleien abhalte und in vulgärster Art gegen die Republik und die Juden hetze. Der Name fiel leer und gewichtlos in mich hinein. Er beschäftigte mich nicht weiter. Denn wie viele heute längst verschollene Namen von Agitatoren und Putschisten tauchten damals im zerrütteten Deutschland auf, um ebenso bald wieder zu verschwinden. Der des Kapitän Ehrhardt mit seinen Baltikumtruppen, der des Wolfgang Kapp, die der Fememörder, der bayrischen Kommunisten, der rheinischen Separatisten, der Freikorpsführer. Hunderte solcher kleiner Blasen schwammen durcheinander in der allgemeinen Gärung, die, kaum zerplatzt, nicht mehr zurückließen als einen üblen Geruch, der deutlich den geheimen Fäulnisprozeß in der noch offenen Wunde Deutschlands verriet. Auch das Blättchen jener neuen nationalsozialistischen Bewegung glitt mir einmal durch die Hand, der ›Miesbacher Anzeiger‹ (aus dem später der ›Völkische Beobachter‹ erwachsen sollte). Aber Miesbach war doch nur ein kleines Dörfchen und die Zeitung ordinär geschrieben. Wer kümmerte sich darum? Dann aber tauchten mit einemmal in den nachbarlichen Grenzorten Reichenhall und Berchtesgaden, in die ich fast allwöchentlich hinüberkam, kleinere und immer größere Trupps junger Burschen in Stulpenstiefeln und braunen Hemden auf, jeder eine grellfarbige Hakenkreuzbinde am Arm. Sie veranstalteten Versammlungen und Aufmärsche, paradierten durch die Straßen mit Liedern und Sprechchören, beklebten die Wände mit riesigen Plakaten und beschmierten sie mit Hakenkreuzen; zum erstenmal wurde ich gewahr, daß hinter diesen plötzlich aufgetauchten Rotten finanzielle und auch sonst einflußreiche Kräfte stehen mußten. Nicht der eine Mann Hitler, der 263
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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