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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
Seite - 177 -
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Der Kampf um die geistige Brüderschaft An sich half es nichts, sich zurückzuziehen. Die Atmosphäre blieb bedrückend. Und ebendeshalb war ich mir bewußt geworden, daß ein bloß passives Verhalten, das Nicht-Mittun bei diesen wüsten Beschimpfungen des Gegners nicht zureichend sei. Schließlich war man Schriftsteller, man hatte das Wort und damit die Pflicht, seine Überzeugungen auszudrücken, soweit dies in einer Zeit der Zensur möglich war. Ich versuchte es. Ich schrieb einen Aufsatz, betitelt ›An die Freunde im Fremdland‹, wo ich in gerader und schroffer Abweichung von den Haßfanfaren der andern das Bekenntnis aussprach, allen Freunden im Ausland, möge auch jetzt eine Verbindung unmöglich sein, treu zu bleiben, um mit ihnen bei erster Gelegenheit wieder gemeinsam am Aufbau einer europäischen Kultur zu arbeiten. Ich sandte ihn an die gelesenste deutsche Zeitung. Zu meiner Überraschung zögerte das ›Berliner Tageblatt‹ nicht, ihn unverstümmelt abzudrucken. Nur ein einziger Satz – ›wem auch immer der Sieg zufallen möge‹ – fiel der Zensur zum Opfer, weil auch der leiseste Zweifel daran, daß Deutschland als selbstverständlicher Sieger aus diesem Weltkrieg hervorgehen werde, damals nicht gestattet war. Aber auch ohne diese Einschränkung trug mir der Aufsatz einige entrüstete Briefe von Überpatrioten ein, sie verstünden nicht, wie man in einer solchen Stunde noch mit diesen schurkischen Gegnern Gemeinschaft haben könne. Das kränkte mich nicht sehr. Ich hatte zeitlebens nie die Absicht gehabt, andere Leute zu meiner Überzeugung zu bekehren. Es war mir genug, sie bekunden, und zwar sichtbar bekunden zu dürfen. Vierzehn Tage später, ich hatte jenen Aufsatz beinahe schon vergessen, fand ich, mit Schweizer Marke versehen und mit dem Zensurstempel geschmückt, einen Brief, den ich schon an den vertrauten Schriftzügen als von der Hand Romain Rollands erkannte. Er mußte den Aufsatz gelesen haben, denn er schrieb: »Non, je ne quitterai jamais mes amis.« Ich verstand sofort, daß die wenigen Zeilen einen Versuch machen wollten, festzustellen, ob es möglich sei, während des Krieges mit einem österreichischen Freunde in briefliche Verbindung zu treten. Ich antwortete ihm sofort. Wir schrieben einander von nun ab regelmäßig, und dieser Briefwechsel hat sich dann mehr als fünfundzwanzig Jahre fortgesetzt, bis der Zweite Krieg – brutaler als der Erste – jede Verbindung zwischen den Ländern abriß. Dieser Brief war einer der großen Glücksmomente in meinem Leben: wie eine weiße Taube kam er aus der Arche der brüllenden, stampfenden, tobenden Tierheit. Ich fühlte mich nicht mehr allein, sondern endlich wieder gleicher Gesinnung verbunden. Ich empfand mich bestärkt durch Rollands überlegene Seelenstärke. Denn über die Grenzen hinweg wußte ich, wie 177
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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