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Die Agonie des Friedens
»The sun of Rome is set. Our day is gone.
Clouds, dews and dangers come; our deeds are done.«
Shakespeare, ›Julius Cäsar‹
So wenig wie seinerzeit Sorrent für Gorkij, bedeutete England in den ersten
Jahren für mich ein Exil. Österreich bestand weiter, auch nach jener
sogenannten ›Revolution‹ und dem ihr bald nachfolgenden Versuch der
Nationalsozialisten, durch einen Handstreich und die Ermordung Dollfuß’ das
Land an sich zu reißen. Die Agonie meiner Heimat sollte noch vier Jahre
dauern. Ich konnte zu jeder Stunde heimkehren, ich war nicht verbannt, nicht
geächtet. Noch standen in meinem Salzburger Haus unbehelligt meine
Bücher, noch trug ich meinen österreichischen Paß, noch war die Heimat
meine Heimat, noch war ich dort Bürger – und Bürger mit vollen Rechten.
Noch hatte nicht jener grauenhafte, jener keinem, der ihn nie am eigenen
Leibe erlebt, erklärbare Zustand der Vaterlandslosigkeit begonnen, dieses
nervenzerwühlende Gefühl, mit offenen wachen Augen im Leeren zu taumeln
und zu wissen, daß man überall, wo man Fuß gefaßt hat, in jedem Augenblick
zurückgestoßen werden kann. Aber ich stand erst am ersten Anfang.
Immerhin war es ein anderes Kommen, als ich Ende Februar 1934 in Victoria
Station ausstieg; anders sieht man eine Stadt, in der man entschlossen ist zu
bleiben, als eine, die man nur als Gast betritt. Ich wußte nicht, für wie lange
Zeit ich in London wohnen würde. Bloß eines war mir wichtig: wieder
zu meiner eigenen Arbeit zu gelangen, meine innere, meine äußere Freiheit zu
verteidigen. Ich nahm mir, weil aller Besitz schon wieder Bindung bedeutet,
darum kein Haus, sondern mietete ein kleines Fiat, gerade groß genug, um in
zwei Wandschränken die wenigen Bücher zu bergen, die ich nicht zu
entbehren gewillt war, und um einen Schreibtisch aufzustellen. Damit hatte
ich eigentlich alles, was ein geistiger Arbeiter um sich braucht. Für
Geselligkeit blieb freilich kein Raum. Aber ich wollte lieber in engstem
Rahmen wohnen, um zwischendurch frei reisen zu können: schon war mein
Leben unbewußt auf das Provisorische und nicht mehr auf Bleiben gestellt.
Am ersten Abend – es dunkelte schon, und die Umrisse der Wände
verschwammen in der Dämmerung – trat ich in die kleine Wohnung, die
endlich bereit stand, und erschrak. Denn mir war in dieser Sekunde, als hätte
ich jene andere kleine Wohnung betreten, die ich vor fast dreißig Jahren mir
in Wien eingerichtet, ebenso klein die Zimmer, und der einzige gute Gruß
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Die Welt von Gestern
Erinnerungen eines Europäers
- Titel
- Die Welt von Gestern
- Untertitel
- Erinnerungen eines Europäers
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1942
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 320
- Schlagwörter
- Biographie, Litertaur, Schriftsteller
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Die Welt der Sicherheit 10
- Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
- Eros Matutinus 56
- Universitas vitae 74
- Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
- Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
- Über Europa hinaus 135
- Glanz und Schatten über Europa 145
- Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
- Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
- Im Herzen Europas 189
- Heimkehr nach Österreich 208
- Wieder in der Welt 224
- Sonnenuntergang 240
- Incipit Hitler 263
- Die Agonie des Friedens 286