5 Eros versus Sexus
Es gibt kaum einen Maler, den das (ewig) Weibliche nicht fasziniert. Bei Kurt Regschek ist das nicht anders. Bei ihm steht der perfekt gemalte weibliche Akt oft in einer phantastischen Beziehung zu Dingen des täglichen Lebens oder ergreift - diese animierend - Besitz von einer ganzen Landschaft. Dabei ist interessant, dass der Künstler in der Mehrheit der Fälle auf explizite erotische oder gar sexuelle Reize verzichtet. Seine weiblichen Figuren haben sehr frauliche, runde Formen mit gut entwickelten, »ideal geformten« Brüsten. In der Regel ist ihr Blick ernst, manchmal lustig und nur ganz selten lüstern, »einladend«.
Im Gespräch zu diesem Thema stellt Kurt Regschek einen Vergleich mit der Photographie an:
Eines ist wichtig: Das Spannungsverhältnis zwischen Mann und Frau stellt Kurt Regschek in den größeren Zusammenhang des Phänomens der Gegensätze schlechthin. In esoterischer (alchemisti- scher, maurerischer) Sicht ist »oben« gleich »unten«, »Mann« gleich »Frau« - was nichts anderes bedeuten soll als die Notwendigkeit, in Gegensätzen zu leben mit der Verpflichtung, danach zu streben, sie im Sinne einer höheren Einheit aufzulösen. Diese Überlegungen erinnern auch an die Dialektik von These - Antithese - Synthese (Hegel: »Das Wahre ist das Ganze«).
Kurt Regschek:
Das ist schön philosophisch, das passt mir gut in meine Vorstellung. Liebe und Sex haben nichts miteinander zu tun. Sie können miteinander zu tun haben, aber das ist ein reiner Glücksfall und es muss nicht sein.«
Reinhard Müller-Mehlis:
In einer ersten Version (1962) wird der Oberkörper der Mutantin en face und nur bis zum Nabel dargestellt. Der Katzenkopf ist ein wenig struppig und ohne besondere erotische Qualität (Regschek dienten die eigenen Katzen als Modell). So entsteht eine etwas verschreckt blickende siamesische Katze, die einen langen Stab mit »Ladykiller« (»das männliche Prinzip) wie ein Gewehr präsentiert. In einer Überarbeitung (ebenfalls 1963) wird das männliche Prinzip durch eine große Kaktusblüte symbolisiert.
Regschek:
Wie nach solch freimütigen Ansagen nicht anders zu erwarten, geht besonders von der Letztversion (1970) ein unverhüllter erotischer Reiz aus. Der makellose Körper mit den festen Brüsten (die linke wird en face, die rechte, ein wenig spitz, im Profil gezeigt) reicht vom leicht angeschnittenen Schamhaar bis zu einem edlen Katzenkopf mit weichem Fell, der den (männlichen) Betrachter über die zarte Schulter herausfordernd anblickt. Alles ist perfekt gestaltet: wie immer bei Kurt Regschek sind die weiblichen Finger lang, mit wohlgeformten, gepflegten und oft lackierten Nägeln. Aus der Kaktusblüte ist eine mit klarer Aussage zwischen die Brüste strebende »Eichelblume« geworden. Die Fingerhaltung ist besonders interessant - der Daumen bleibt verborgen, die in der Hand gehaltenen Gegenstände liegen bei Regschek entweder auf dem Ringfinger oder dem kleinen Finger auf. Die Erklärung hiefür verblüfft: aber der Künstler war ja einst Eleve der Spanischen Reitschule, wo er lernte, wie man die Zügel besonders gefühlvoll hält ...
Kurt Regschek:Kurt Regschek stand dem Thema Sexualität und Erotik insgesamt zwiespältig gegenüber. Einerseits faszinierte ihn alles Weibliche so stark, dass er es auch durch oft übertriebene Formen zum Ausdruck brachte, andererseits distanzierte er sich oft auch gleich wieder von einer zu deutlichen Darstellung sexueller Motive und erotischer Momente.
Bei Kurt Regschek - wie auch bei anderen seiner Wiener Kollegen - weiß man manchmal nicht, ob der Künstler bloß einer Laune folgt oder gar nur seinen Spaß mit dem Betrachter treibt. Bei diesem Bild kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, man werde von der langhalsigen Blondine auf den Arm genommen. Wird hier nicht die männliche Fixierung auf die Brüste der Frau (wohl in Reminiszenz auf jene der eigenen Mutter) dadurch ad absurdum geführt, dass isolierte (und, wie üblich, aufregend schöne) Hände jeder der beiden Halbkugeln ein gläsernes Äquivalent aufsetzen - exakt in der Bildmitte? Mokiert sich der Künstler über die erotische Funktion der Brustwarzen, die hier griffsichere Knöpfchen aus Glas bilden? Nein, es gibt eine andere, in der Tat verblüffende Erklärung. Kurt Regschek kam zufällig in den Besitz einer kleinen, kugelförmigen Glasvase mit knopfförmigem Ansatz, die wie viele andere gleicher Gestalt einem eher banalen Zweck diente: Gefäße dieser Art säumten als im Boden verankerte Windlichter die Straße von Wien nach Laxenburg, um den Kutschern des kaiserlichen Hofes nach Einbruch der Dunkelheit den Weg zu weisen. Für den Künstler waren die offenen Glaskugeln Inspiration für ein Bild, das sich humorvoll-kritisch mit der Fetischisierung der weiblichen Brüste durch die Wirtschaftswerbung auseinandersetzt. Im Gegensatz zu vielen anderen Frauenantlitzen bei Kurt Regschek blicken wir hier in ein ausgesprochen kokettes »Gsichtl« - von fließendem Blondhaar verführerisch umschmeichelt und mit lasziv geöffnetem Mund. Es muss dahingestellt bleiben, ob der teils bläulich fließende, teils bräunlich verschwimmende Hintergrund mit sexuellen Phantasien in Zusammenhang zu bringen ist. Vielfach spielt die »Ummalung« des Hauptmotivs bei Regschek ja eine vor allem formale Rolle - den eigentlichen Bildinhalt im Raum »festzuhalten«.
Kurt Regschek im Interview mit Monika Bugs:
Der Dichterfreund und seine Muse
Diese Grisaille stellt Erato (»Die Liebliche«), Muse der Liebesdichtung, des Gesangs und des Tanzes in trautem Zusammensein mit dem österreichischen Dichter und Sprachkünstler H.C. Artmann (1921-2000) dar. Ist das Bild schwarz-weiß gemalt, weil Artmann »med ana schwoazzn dintn« berühmt geworden ist? Wohl nicht - aber es ist eine liebevolle malerische Hommage an den literarischen Freund: »H.C.« blickt sinnend in die Ferne, nicht ohne sinnlich Kontakt mit seiner erotischen Muse zu nehmen. Wie bei allen Frauenbildnissen Kurt Regscheks ist der Frauenkörper ein Frauenkörper - vollbusig und mit breitem Becken entfaltet er sich in gesunder weiblicher Kraft.
Spiel mit Motiven
Reinhard Müller-Mehlis:
Mit Motiven zu spielen - spielen zu wollen, aber auch spielen zu können - ist ein Grundmerkmal guter surrealistischer Maler und phantastischer Realisten. Es gibt bei Kurt Regschek einige Bilder, auf denen sich Körperteile selbstständig machen, um an Stellen zu erscheinen, an denen sie ganz natürlich wirken, obwohl sie bei näherem Hinsehen dort gar nichts zu suchen hätten. Scherz, Verfremdung, Vexierspiel oder tiefere Bedeutung? Von allem ein bisschen? Hier steht die üppig bebuste, ein wenig indianisch wirkende Muse auf den ersten Blick ganz lässig hinter und gleichzeitig vor einer Staffelei. In Wahrheit teilt sie sich auf vier Bildebenen bzw. verschieden große Leinwände auf. Als sehr gelungener Gag kann der in fünfter Ebene vor dem Kätzchen stehende Katzenkopf gelten. Auch wird erst bei näherem Hinsehen klar, dass die Mittelstrebe der verborgenen Staffelei dem Frauenkopf als Hals dient, während die Beine des Modells wiederum jene der Staffelei ersetzen. Vielleicht erhält das Bild dadurch einen zusätzlichen Sinn - obwohl dazu keine Verpflichtung besteht - dass der Künstler oft gleichzeitig an verschiedenen Bildern malt. Im gegenständlichen Fall sind alle behandelten Motive verwendet. Der räumliche Eindruck entsteht durch Farbe, Schatten und die perspektivisch hervorgehobenen hellen Rahmenkanten mit den charakteristischen Nägeln.
Kurt Regschek im Interview mit Monika Bugs:
Im Taumel der Sinne
Den Augenblick der Empfängnis bildlich darzustellen, erfordert ein besonderes Sensorium und besondere Sensibilität. Kurt Regschek ist es in dieser Grisaille in bewundernswerter Weise gelungen, diesen für eine Frau so wichtigen Vorgang und die damit verbundenen Emotionen in seine Bildsprache zu zwingen. Das ganze Bild scheint um seinen Mittelpunkt, an dem sich der Mutterschoß befindet, zu rotieren. Offenbar hat sich der beteiligte Mann gerade zurückgezogen (war es Zeus in Gestalt des Goldregens oder ist sonstiges göttliches Wirken angenommen?). Der Körper der Frau - gerade noch hat sie den Schoß geöffnet - ist schwebend aufgestützt auf die zarten Arme. Die Beine - in noch auf- nehmender oder schon bewahrender Geste - sind halb angezogen. Der Leib befindet sich im kreisenden Taumel des tief empfundenen Erlebnisses der geschlechtlichen Vereinigung, während der Blick der Frau bereits ernst und sinnend auf eine Zukunft als Mutter gerichtet ist. Ein Meisterwerk.
Wellness
So ernst das Bild über die Empfängnis, so heiter der Anblick der jungen Frau (Lisl Regschek) im blaugestreiften Trikot. Hochinteressant, wie sich das für Frauenbildnisse so typische Blau durch die paritätische Kombination mit Weiß vom Ernsten zum Heiteren wandelt und sogleich an Ferien denken lässt. Gesichtsausdruck und kecke Zöpfchen tragen das ihre dazu bei, eine zufriedene und glückliche Stimmung zu verbreiten. Wie öfters bei Kurt Regschek ist der Hals etwas länger als in der Realität, während die Oberschenkel etwas kräftiger als in natura dargestellt werden. Dazu treten noch die leicht seitlich abgestreckten Arme mit Schuhen und Badetuch - so ergibt sich insgesamt eine Pfeilform des Motivs - mit voller Absicht: Stabilität nach unten und ein Schlankerwerden nach oben tritt bei vielen Hochformaten von Kurt Regschek auf, insbesondere auch bei Architekturbildern - beinahe so etwas wie ein Markenzeichen des Malers. Frauenbildnisse reichen maximal bis zum Knie, sodass Fußformen kaum vorkommen. Handelt es sich beim durchgängigen Einsatz der schlanken Dreiecksform etwa um ein allgemeines Gesetz von Architektur und Malerei: solide Basis und Verjüngung nach oben sowohl aus statischen wie aus perspektivischen Erwägungen?
© Bild und Texte Peter Diem und Anton Wladar
- Vom rechten Maß
- Einleitung
- Lebensgeschichte
- Kurt Regschek als Lehrer
- 01 Apokalypse, Krieg und Tod
- 02 Die Architektur und ihre Wurzeln
- 03 Zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit
- 04 Animistische Landschaften
- 05 Eros versus Sexus
- 06 Mutanten
- 07 Mythologie
- 08 Nature morte
- 09 Spiritualität
- 10 Landschaften
- 11 Portraits
- 12 Akt
- 13 Kakaniopolis
- Kurt Regschek und die Wiener Schule
- Interview mit Monika Bugs
- Stimmen von Freunden
- Ausstellungen und Ehrungen
- Bibliographie
- Bibliographie Kataloge
- Bibliographie Publikationen
- Bibliographie Quellen
- Index