Kurt Regschek und die Wiener Schule
Der Ausgangspunkt der später »Wiener Schule des Phantastischen Realismus« genannten Malergruppe war das gemeinsame Studium von Arik Brauer, Ernst Fuchs, Wolfgang Hutter, Anton Lehmden und anderen an der Akademie der bildenden Künste auf dem Wiener Schillerplatz unmittelbar nach Kriegsende 1945. Rektor war Herbert Boeckl, der beliebteste Lehrer aber war Albert Paris Gütersloh. Während die wichtigste Wurzel der Malerei der späteren »Phantasten« der französische Surrealismus der Zwischenkriegszeit war, hatte Gütersloh Elemente des Jugendstils bewahrt, die er seinen Schülern weitergab. Neben Gustav Klimt waren es auch Alfred Kubin, Rudolf Wacker und Oskar Kokoschka, die die Nachkriegsgeneration der Wiener Maler beeinflussten - nicht zu vergessen Edgar Jene, der längere Zeit in Wien weilte, und der Doyen der Wiener Schule, Charles Lipka.
Charakteristisch für diese Künstlergruppe war die Pflege der altmeisterlichen Maltechnik, insbesondere der Lasur nach dem Vorbild der altdeutschen und flämischen Malerei, und das Studium der Werke des Manierismus - zum Kunsthistorischen Museum waren es ja nur wenige Schritte - abgesehen von den Bildern in der Galerie der Akademie selbst. So finden sich bei den jungen Wiener Malern deutliche Anklänge an Hieronymus Bosch und Pieter Brueghel, Albrecht Altdorfer und Giuseppe Arcimboldo.
Vom Surrealismus unterschied sich der phantastische Realismus aber nicht nur in der Anlehnung an frühere Vorbilder in Technik und Motivauffassung, sondern auch durch die stärkere Verwendung von Symbolen und ein Maß von Humor und Heiterkeit - Eigenschaften, die den Österreichern trotz der furchtbaren Erlebnisse, die ihnen der Krieg beschert hatte, nicht verloren gegangen sind. Zwar wurden tragische Schicksale, Krieg und Tod, oft bestürzend real zum Ausdruck gebracht, »doch die Trauer, der zornige Aufschrei, das Grübeln um apokalyptische Visionen wichen den Träumen einer Zukunft, die besser als das Vergangene werden sollte« (Gerhard Kisser).
Der Kunstkritiker Johann Muschik, der für sich in Anspruch nimmt, den Begriff »Wiener Schule des phantastischen Realismus« geprägt und den fünf (von ursprünglich sieben) Künstlern der Gruppe schon 1947 zugeordnet zu haben, weist auf Wien als den Ausgangspunkt der Psychoanalyse hin und stellt diese Kunstrichtung in einen größeren Zusammenhang, wenn er schreibt:
1951 bis 1953 noch im Kellerlokal »Strohkoffer« zusammengedrängt, wuchs der Kreis der Künstler, die man im weiteren Sinn zur Wiener Schule rechnen kann, in den Jahren 1958 bis 1962 beträchtlich an. Zu den Neuzugängen zählten vor allem Kurt Regschek, Helmut Kies, Michael Coudenhove-Kalergi, Peter Proksch und Peter Klitsch, aber auch Helmut Leherb, Robert Doxat, Karl Hodina und Karl Korab.
Vom 10. März bis 4. April 1965 veranstaltete die Kest-ner-Gesellschaft in Hannover eine Ausstellung mit dem Titel »Die Wiener Schule des phantastischen Realismus« mit den fünf Wiener Malern Brauer, Fuchs, Hausner, Hutter und Lehmden. Diese Ausstellung war ein großer Erfolg und wurde anschließend in weiteren Städten Deutschlands gezeigt.
Im April desselben Jahres beschloss Kurt Regschek, sich von der Wiener Schule wieder zu trennen. Er war zu der Erkenntnis gekommen, dass jeder Künstler seinen Weg letztlich allein gehen muss. Kurt Regschek hatte bis zu diesem Zeitpunkt viel mit den Phantasten und für die Phantasten gemacht. Er hatte im Dezember 1959 an der ersten Ausstellung, die den Titel »Wiener Schule des phantastischen Realismus« trug, in der Wiener Galerie Fuchs mit einem Dutzend anderer Maler teilgenommen. Danach war er auf Gemeinschaftsausstellungen der Gruppe in Wien, Linz, Rom, Warschau, Düsseldorf und Sao Paulo vertreten.
1962 gründete er mit Peter Klitsch und Richard Matouschek die »Galerie zur Silbernen Rose«. 1963 organisierte er gemeinsam mit Klaus Lin-gens und Rudolf Hausner die Ausstellung »Wiener Schule des Phantastischen Realismus« in der Galerie »Zum Basilisken«, wobei er bei der Katalogerstellung peinlich genau darauf achtete, dass jedem der 23 Künstler eine Katalogseite mit einer Abbildung zugestanden wurde (»demokratisches Prinzip«).
1964 veranstaltete Regschek mit Miljeva Böck-Greissau und Albert Fuchs die Ausstellung »Bregenz -phantastische Malerei«.
Im selben Jahr erschien im Wiener Forum-Verlag das Buch »Malerei des phantastischen Realismus, die Wiener Schule, Brauer, Fuchs, Hausner, Hutter, Lehmden«, in dem der Direktor der Kestner-Gesellschaft, der Wiener Kunstkritiker Wieland Schmied, über Kurt Regscheks Bild »Zentrum Wien« u.a. schrieb, dass dieses programmatisch für Tendenzen und Inhalt der ganzen Wiener Schule stehen könnte:
Dieses 1961 entstandene, herausragende Bild ist bezeichnender Weise weder im genannten Buch noch im Ausstellungskatalog für Hannover 1965 enthalten. Kurt Regschek, der sich sehr für seine Kollegen engagiert hatte, insbesondere bei der Vorbereitung von Ausstellungen, der Zusammenstellung von Katalogen und Büchern, fühlte sich von einigen seiner Kollegen ungerecht behandelt. So sah er nicht ein, warum er immer nur dann eingeladen werden sollte, wenn die Ausstellungsräume zu groß waren, aber bei wichtigen Anlässen nicht berücksichtigt wurde.
Den von der Gruppe zusammen mit Johann Muschik geprägten Ausdruck »Wiener Schule des Phantastischen Realismus« hielt er für zu »minima-listisch« und »im Grunde provinziell«. Es bestand aber nicht nur das Problem, dass sich Regschek unkollegial behandelt fühlte. Es gab auch eine Reihe inhaltlicher Unterschiede. Lassen wir den Künstler selbst über den Vorgang sprechen:
Abschrift des in Maschinschrift gemalten Textes:
Kultur-Nachrichten
Kurt Regschek geb. 29.6.1923 in Wien, ord. Mitglied des Wiener Künstlerhauses seit 1962; Preisträger 1963 der Dr. Theodor Körner-Stiftung; Teilnehmer an der ersten Ausstellung der Wiener Schule, Galerie Ernst Fuchs, Wien, Dezember 1959 und in der Folge an vielen Expositionen dieser Gruppe in Wien, Linz, Rom, Warschau, Düsseldorf, Sao Paulo u.s.w.; gründet 1962 mit Peter Klitsch und Richard Matouschek die Galerie »zur silbernen Rose«, Wien; organisiert mit Klaus Lingens und Rudolf Hausner die Ausstellung »wiener schule des phantastischen realismus«, Mai-Juni 1963 in der Galerie »zum Basilisken«, Wien I und mit Miljeva Böck-Greissau, Wien und Primarius Albert Fuchs, Bregenz die Ausstellung »Bregenz 1964 - phantastische malerei«; beschließt im März 1965, sich von der »Wiener Schule« zu trennen, weil er die Überzeugung gewinnt, dass
- diese im Sinn einer statutarischen Vereinigung aller ihrer Mitglieder nicht legalisierbar ist und
- die Mehrzahl ihrer derzeitigen Exponenten teils aus menschlich-weltanschaulichen, teils aus künstlerischen Gründen nur sehr schwer tragbar scheint.
- Jeder muss seinen Weg letztlich ganz allein gehen!
Wien, im April 1965 Wb.g.d.W.Sch.
Seite 3 ... absolut unrichtig erwiesen, wie auch die an sich schon ebenso problematische wie abgedroschene Theorie der wellenförmigen Entwicklung der »Wiener Schule« - zu-mindestens in der gewohnten Interpretation - zurechtfrisiert werden musste. Wenigstens zwei von fünf Exponenten wurden auf diese Art in eine erste Welle manövriert, obwohl dies den Tatsachen geradezu ins Gesicht schlägt.
Dies Unterabteilung begann dann Exklusivitätspolitik zu betreiben, direkt und vor allem mittels persönlicher Freunderln anmaßende Zensuren erteilen zu wollen und ihr wichtig erscheinende Unternehmungen, wenn irgendwie möglich, allein durchzuführen, um damit glauben zu machen, es gäbe nichts als sie, bzw. ihre, gerne im Trüben fischenden Angehörigen. Vorschläge zur Legalisierung wurden immer abgelehnt, ernsthafte Versuche um Gleichberechtigung und Koordinierung der beruflich treibenden Kräfte scheiterten kläglich. So bleibt die Wiener Schule eine niemals realisierte (nach wiederholter Aussage unserer vielen Taufpaten ja auch ungewollte) Institution, die - von wenigen ewigen Sitzenbleibern abgesehen - nur noch aus 5 Vorvätern und Gründern besteht. Sterilisierende Selbstherrlichkeit, etliche Intrigen gegen die Kollegen aus welchen Gründen auch immer, kurzsichtige Kämpfe um ein fragwürdiges Primat berauben sie ihrer Möglichkeiten selbst mehr und mehr. Wenn auch eine bestimmte Presse von einem angeblichen Erfolg berichtete, die Ausstellung in Hannover und ihre Auswirkung zeigen dies.
© Bild und Texte Peter Diem und Anton Wladar
- Vom rechten Maß
- Einleitung
- Lebensgeschichte
- Kurt Regschek als Lehrer
- 01 Apokalypse, Krieg und Tod
- 02 Die Architektur und ihre Wurzeln
- 03 Zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit
- 04 Animistische Landschaften
- 05 Eros versus Sexus
- 06 Mutanten
- 07 Mythologie
- 08 Nature morte
- 09 Spiritualität
- 10 Landschaften
- 11 Portraits
- 12 Akt
- 13 Kakaniopolis
- Kurt Regschek und die Wiener Schule
- Interview mit Monika Bugs
- Stimmen von Freunden
- Ausstellungen und Ehrungen
- Bibliographie
- Bibliographie Kataloge
- Bibliographie Publikationen
- Bibliographie Quellen
- Index