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Jörg Klauber
Jörg Klauber

Die Schlußszene#

(Abrundung der Notizen für den medialen Ebenenwechsel)#

Von Martin Krusche#

Ich sollte hier zu einem Ende kommen, was mir gerade wieder schwerfällt, wo die Dinge so gut in Fluß sind. Das macht einen wesentlichen Teil meiner bevorzugten Auffassung von prozeßhafter Wissens- und Kulturarbeit als kollektiver Praxis aus. Es klingt nüchterner, wenn man es einfach Teamwork nennt. Das Prinzip werden Sie mir sicher bestätigen können: Niemand ist alleine schlau!

Ich arbeite hier mit hervorragenden Leuten zusammen, was vor allem auch bedeutet, es geht keinerlei Energie für Rang-Spiele und hierarchischen Kram drauf. Wir können unsere Kräfte umfassend auf die Inhalte und auf Umsetzungsfragen konzentrieren. Nein, das ist keineswegs selbstverständlich. Gerade die letzten zehn Jahre im Kielwasser der Weltwirtschaftskrise (von 2008/2009) haben mir da einige harte Lektionen verpaßt.

Famous Final Scene#

Ich mag dieses romantische Motiv aus dem Kino. Die berühmte Schlußszene. Das kam so. Ich war gerade vors Haus gegangen, um eine meiner Runden zu absolvieren. Bei den vielen Stunden an meinem Schreibtisch würde ich sonst krumm werden. Da hält ein Wagen auf meiner Höhe, das Seitenfenster fährt herunter und Fotograf Richard Mayr ruft: „Was hast du vor?“ Nichts, was sofort geschehen müßte. „Dann komm mit, ich brauch dich eh!“
Richard Mayr
Richard Mayr

Mayr hat längst alle Objekte, die ins kommende Buch sollen, fotografiert. Aber da wir zeitlich noch Spielraum haben, fällt ihm bei manchem Motiv ein, daß er eventuell gerne ein anderes Licht, eine andere Perspektive, eine Variation haben möchte.

Nun also erneut zur Dorfkapelle von Hofstätten und zum „Dorfplatz“, beides hier in meiner Werkbank zum Projekt protokolliert: (Link) Später konnte ich dann in Mayrs Büro sehen, welcher Gewinn diese Ausfahrt gewesen ist.

Komplementäre Schritte#

Ich hab im vorigen Text „Buchgestaltung“ (Auf dem Weg zur Druckvorstufe) die beiden medialen Ebenen, die wir bespielen, skizziert. Grafikdesigner Jörg Klauber arbeitet gerade am kommenden Buch „Wegmarken“, das als Druckwerk erscheinen wird; da bin ich noch redaktionell in der Pflicht.

Hingegen ist diese kleine Textsammlung – „Werkbank zwo“ – als komplementäres Projekt angelegt, das die Basis für eine Umsetzung in neuer Webtechnologie bildet. Dabei finde ich mich als Kooperationspartner von Wissenschafter Hermann Maurer, der sich bereit erklärt hat, dieses Vorhaben mit mir modellhaft umzusetzen.

Die Technologie dazu hat er mit seinem Team entwickelt. Die wichtigsten Informationen dazu sind im vorigen Kapitel verlinkt. Das setzt sich nun von bisheriger Online-Technik ab. Sie sehen hier ein Beispiel, das überdies zum Thema paßt: „Regionale Kulturarbeit“ (Eine kleine Reflexion). Dieser Modus bedeutet vor allem: es ist ein digitalisiertes Druckwerk und daher weltweit im Web abrufbar. Punkt! Mehr kann es nicht. Maurers „NID“ kombiniert diesen Old School-Modus mit einer Reihe anderer Möglichkeiten. So erhält das Dokument Plattform- und Portalcharakter, macht Spiel- und Handlungsräume auf.

Hermann Maurer
Hermann Maurer
Gleisdorf von oben
Gleisdorf von oben

Vernetzung#

Zu meinen Lieblings-Mantras gehört dieses: „Vernetzung ist kein Inhalt, sondern ein Werkzeug.“ Aber was Vernetzung mit vorzüglichen Leuten bedeutet, wirkt sich auch inhaltlich eminent auf die laufende Arbeit aus. Dabei spielt der verfügbare Fächer an Themen eine wichtige Rolle, denn ich blicke auf meinen Lebensraum, auf unsere Region, und will in der Arbeit an kulturellen Themen sehr verschiedene Aspekte gemeinsam zum Klingen bringen.

Das macht den Unterschied zu diversen Managements und Agenturen, die Vermarktungsaspekte an unserem Leben bearbeiten, die etwa für Marketing-Agenda allerhand Layers über uns breiten, welche aber letztlich eher verhüllen, was hier der Fall ist.

In der Wissens- und Kulturarbeit geht es darum: klären, was der Fall ist. Erkenntnisgewinn. Wir haben aus der Vergangenheit die Empfehlung behalten, Erkenntnis möge sich nicht bezahlt machen, sondern erweisen.

Klar, wir müssen alle unser Brot verdienen, aber das ist eigentlich dem Erkenntnisgewinn nachgeordnet. Diese Anordnung läßt sich nicht auf sinnvolle Art umdrehen. Das ist für mich so sortiert: Informationen verarbeiten, Wissenserwerb, Erkenntnis. Dann kann ich darangehen, meine Kompetenzen auch zu vermarkten.

Bild 'bank011e'

Gemengelage der Themen#

Ich hab im Jahr 2018 begonnen, mein bisheriges Interesse an Klein- und Flurdenkmäler in eine Projektidee zu übersetzen. Siehe dazu „Wegmarken“ (Intro)! Die erste Projekt-Seite im Austria-Forum ging schließlich im November 2020 online: „Wegmarken“ (Ein kulturelles Zeichensystem, Abschnitt I)

Das Thema tauchte verschiedentlich auch bei anderen Kultureinrichtungen auf. Einen inhaltlich sehr gut gemachten Beitrag fand ich den „steirischen berichten“ 3/2020: „Juwelen der Kulturlandschaft“. (Siehe dazu meine Rezension!) Ich hatte dort schon 2017 das Thema „Volkskultur in der technischen Welt“ anreißen können: Weltberühmt in Österreich: Das Pucherl“. Genau das und die Klein- und Flurdenkmäler halte ich für zwei der großen steirischen Volkskultur-Themen, die neben anderen Volkskultur-Genres etwas im Schatten stehen.

Aber vielleicht ist das die gute Nachricht. Was man sich heute unter einer authentischen Volkskultur vorstellen mag, die nicht von der Unterhaltungsindustrie okkupiert oder mit anderen sozialen Pflichten befrachtet ist, gedeiht ja sehr gut für sich.

Der Themenbogen in meiner aktuellen Projektphase „Prisma“: Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst. Mit 2022 ist nun außerdem das zwanzigste Jahr von den geplanten 20 Jahren meines Langzeitprojektes „The Long Distance Howl“ erreicht. Aber zurück zu dieser Schlußszene!

Treibende Technologien#

Ich hab mit „Maschine“ (Eine laufende Erzählung) nur eine von mehreren Ebenen aufgemacht, um auszuloten, was es bedeutet, daß wir seit rund 200 Jahren in einer permanenten technischen Revolution leben.

Dazu gehört auch „Die Ehre des Handwerks“ (Eine Erkundung im 21. Jahrhundert) vor dem Hintergrund einer komplexen Arbeit, im Zuge derer meine „Kleine Kulturgeschichte des Steyr-Puch Haflinger“ entstand, die 2019 erschien und zugleich ein Stück Allrad-Geschichte ist. Ein kurzer Überblick:

Markus Rudolf (1.v.l.) per Selfie
Markus Rudolf (1.v.l.) per Selfie

Es haben sich innerhalb meiner Lebenszeit zwei industrielle Revolutionen ereignet, was eine Menge Probleme aufwirft, weil wir bei diesem Tempo keinen Adaptionsphasen mehr haben, um uns mit Innovationen angemessen vertraut zu machen. So ist die Vierte Industrielle Revolution längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aber ich finde in meinem Umfeld bei den Leuten keine hinreichende Kenntnis, was das bedeutet und mit uns gerade macht.

Diese Arbeit hat mit eine ganze Reihe sehr interessanter Kontakte eingebracht, die nun schon über Jahre halten und mir laufend spannende Inputs bringen. Wenn etwa Techniker Ferdinand „Micha“ Lanner sein fulminantes Online-Archiv um Sektionen erweitert hat und mir im Hintergrund stets bei offenen Fragen weiterhilft.

Ferdinand „Micha“ Lanner
Ferdinand „Micha“ Lanner

Oder wenn mir Projektleiter Markus Rudolf dieser Tage laufend Fotos von seiner aktuellen Arbeit schickt, etwa aus dem Cockpit Gaussin H2 Racing Truck (Design: Pininfarina), dem vorerst leistungsstärksten Wasserstoff- und Elektro-Renn-LKW unserer Mobilitätsgeschichte. Das ist Post von der Dakar 2022. Siehe: „Sand und Sterne“!

Fußnötchen: Lanner ist der Enkel von Ferdinand Lanner, einem Rennfahrer, der Anfang des 20. Jahrhunderts für Altmeister Johann Puch allerhand Erfolge eingefahren hat und bei der technischen Entwicklung im Einser-Werk wirkte. Rudolf ist der Sohn des letzten Werksdirektors der Grazer Puchwerke: „Egon Rudolf“ (Zur Erinnerung) Das bedeutet, hier kommt viel Know how aus erster Hand.

Angesichts dieser Themenschwerpunkte interessiert mich sehr, welche älteren Zeichensysteme uns noch vertraut sind, unseren Lebensraum durchziehen. Das berührt auch Fragen in welchen Traditionen wir noch leben, ohne daß uns deren Codes von Bildungseinrichtungen vermittelt werden. Also ein von der Basis her getragenes Brauchtum, das ohne akademische Diskurse auskommt, um zu gedeihen.

Wegmarken#

Außerdem ließ mich Künstlerin Monika Lafer dieser Tage grade wissen, wo sie mit ihrem Part in unseren „Zeit.Raum“ weitermachen möchte. Lafer nutzt für ihre „Sicherungskopie“ künstlerische Mittel, um Passagen der Stadt Gleisdorf festzuhalten, die gerade einer Veränderung unterworfen werden.

Nun setzt sie bei einem Bildstock über der Glieder-Wehr an, denn dort gibt es ein altes Kleinkraftwerk. Da übernehmen nun die Feistritzwerke den Betrieb. Dadurch wird sich eventuell auch die schöne Flußlandschaft südlich des Staubeckens verändern. Und der Bildstock? Das ist natürlich der prominenteste „Wasserheilige“, nämlich Nepomuk, flankiert von weiteren Heiligen.

Monika Lafer
Monika Lafer

Dieses schon etwas in Schräglage befindliche Objekt ist auch Teil unseres Buchprojektes, die Nummer vier auf der Gleisdorf-Werkbank. (Lafer, außerdem Kunsthistorikerin, die derzeit an ihrer Dissertation arbeitet, wird uns beizeiten einen kleinen Essay zu diesem Bildstock verfassen. Damit komme ich zu etwas Inhaltlichem.)

Sherpa#

Ich hab mir in letzter Zeit einige Dokumentationen über das Volk der Sherpas beschafft, über die Arbeit rund um den Mount Everest. Das „Ostvolk“ (shar pa) ist eine asiatische Ethnie, die eine eigene Sprache hat. Sherpas hängen Großteiles dem Buddhismus an.

Ich wollte meine Annahmen zu den Klein- und Flurdenkmälern überprüfen; was deren Funktionen angeht. Ein karges Leben in der agrarischen Welt. Harte Feldarbeit. Ich sah Sherpa-Familien, die haben privat keine Zugtiere, schon gar keine Maschinen. Und das in sehr entlegenen Dörfern in einem rauhen Klima. Sie ahnen, worauf mein Interesse zielte?

Man muß diese Kargheit ertragen und die Tatsache, daß daraus kein Wohlstand entstehen kann, kein Entkommen möglich ist; außer man findet Jobs, die von außen ins Gebiet kommen und Geld bringen. Jeder Kummer, jeder Schicksalsschlag, jede Strapaze und Entbehrung, jede Krankheit oder Verletzung müssen in so einem Leben emotional bewältigt werden; meist ohne all das, was wir an Versorgungsleistungen des Gemeinwesens kennen.

Der Heilige Nepomuk bei der Glieder-Wehr.
Der Heilige Nepomuk bei der Glieder-Wehr.
Das Raabtal südlich der Wehr.
Das Raabtal südlich der Wehr.

Das kommt also jenen Lebensbedingungen überaus nahe, die ich aus der Oststeiermark kenne, wovon ältere Leute noch heute erzählen. Kleine Selbstversorgerwirtschaften in einer Randzone. Kaum Geld. Keine eigenen Zugtiere, bestenfalls Kühe, natürlich keine Maschinen. Oft zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Wie schafft man so ein Leben, ohne zu verzweifeln? Religiosität bietet Möglichkeiten. Rituale, um Halt zu finden und den Jahreslauf zu strukturieren. Damit mag man das Gefühl mildern, ein Kummer werde ewig dauern.

Imaginäre Gegenüber als „Ansprechpersonen“, denen man in Gebeten sein Herz ausschütten kann. Aber auch leibhaftige spirituelle Autoritäten, Mönche und Lamas, die in einem ganz anderen Konzept leben und Kontaktpersonen für besondere Zustände sind. Dann die Arbeit für Reiseagenturen, um zahlungskräftigen Touristen Wege auf den Everest zu ebnen, bis über siebentausend Meter Höhe etwas Komfort bereitzustellen. Diese Arbeit ist furchterregend schwer, ist in jedem Schritt lebensgefährlich.

So hörte ich Dorje Sherpa sagen, er würde am liebsten nie mehr in die Berge gehen, aber er muß, er brauche das Geld. Fünf- bis sechstausend Dollar für einen Job. So eröffnete er seinen beiden Töchtern, was ihm selbst verwehrt blieb, das Dorf und diese Armut zu verlassen. (Eines der Mädchen ist Novizin in einem buddhistischen Kloster, das andere geht in Kathmandu zur Schule.) Auch das vertraute Klänge, wenngleich am anderen Ende der Welt.

Sherpa in der Nähe von Dingboche (Foto: Goutam1962, CC BY-SA 4.0)
Sherpa in der Nähe von Dingboche (Foto: Goutam1962, CC BY-SA 4.0)
Der Mount Everest (Foto: Public Domain)
Der Mount Everest (Foto: Public Domain)

Es waren in seinem Gesicht und in dem seiner Frau mehrfach Tränen zu sehen, wenn sie von den Gefahren, von den Anstrengungen und von den Problemen sprachen. Wie also all das bewältigen? Rituale, Gebete, Artefakte und Objekte, ein System von spiritueller Bedeutung, das diesen Menschen nützt, wenn sie eine schwierige Phase durchstehen, Angst ertragen, Bedrohung schultern müssen.

Mir schien all das als gelebte Gegenwart sehr anregend und aufschlußreich, wenn man sich fragt, worin die Wegkreuze, Bildstöcke, Kapellen und anderen Wegmarken ursprünglich wurzeln. Viele dieser Dinge werden solche Funktionen bis heute haben, auch wenn unsere Leute nicht in dieser harten Kargheit bleiben mußten.