Mittelmaß und Sendeschluß#
(...sowie die Vorleistungen der anderen)#
Von Martin Krusche#
Ich muß in meinem Kopf erst ordnen, was die Gleisdorfer Beuys-Ausstellung in den Tagen danach ausgelöst hat. Ein reges geistiges Leben kann man innerhalb eines konkreten Lebensraumes fördern, mitgestalten, oder konsequent runterfahren. Österreich hat sich von den Feierlichkeiten einer notorischen Intellektuellenfeindlichkeit während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts längst nicht erholt oder gar davon befreit.
Das Mittelmaß zerrt am Lebendigen, an der Wißbegierigen, um das Niveau des ganzen Ladens möglichst so weit herunterzuholen, daß die eigene Position ein wenig herausragen kann. So läuft das unter höflichem Grinsen. Wie oft hat man mir “Hirnwichser“ zugeraunt, um die Mühen des Wissenserwerbs zu denunzieren?
Ein erregtes Kleinbürgertum ruft den Sendeschluß aus, bevor es im Nachdenken anstrengend wird. Selbst Leute, die ihre akademischen Grade wie Banner vor sich hertragen, zeigen sich in der Oststeiermark nicht unbedingt als Gewährsleute des Wissensdurstes, sondern mokieren sich gerne über das, was nicht flott und „knackig“ daherkommt, was Zeit braucht und Zeit in Anspruch nimmt.
Als gebe es in wesentlichen Angelegenheiten Abkürzungen. Als hätten uns die letzten Jahrzehnte einer umfassenden Durchökonomisierung (plus permanenter Temposteigerung) nicht jenen Status quo eingebracht, der uns aktuell zu Recht große Sorgen macht. Zeit! Adäquate Fragen finden und stellen, an den möglichen Antworten arbeiten.
Ich nehme diese ganze Hudelei in den Funktionärswelten und bei ihrer Entourage, das Ringen um Wow-Effekte und Sichtbarkeit, als genuinen Ausdruck einer lebhaften Demokratie zur Kenntnis. Dazu ein Zitat vom April 2019: „Ich verzichte hier auf weitere Zitate all dieser Befindlichkeitsprosa, mit der mir ein verschrecktes Bildungsbürgertum seine hausgemachten Identitätskrisen zumutet. Ich habe ja auch die Wortmeldungen all jener gelesen, die in meiner Umgebung kommentarlos zugesehen haben, wie über Jahre Kunst und Kultur schrittweise zur Magd des Marketings wurden. Was schert mich diese weinerliche Ratlosigkeit von Leuten, denen offenkundig der Unterschied zwischen Kitsch und Kunst völlig unklar ist?“ (Aus: „Das Mal eines banalen Brandeisens“)
Zu jener Glosse hab ich unter anderem über den Maler Hannes Schwarz gegrübelt, der mir in einigen Begegnungen reichlich zu denken gegeben hat. Ich betone das, weil erstens unser aller Arbeit auf den Vorleistungen anderer Menschen beruht und weil wir zweitens in der Region eine bemerkenswerte Vorgeschichte des kulturellen Geschehens haben. Damit läßt sich die ganze Bandbreite von Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst darstellen.
Ich hab mein liebstes Portrait von Hannes Schwarz, das ihn mit einem skeptischen, vielleicht auch mahnenden Blick zeigt, in die Werk-Leiste zum Bereich „Beuys 101“ eingereiht. Es stammt von unserer Reise nach Admont, wo er einige seiner frühen Arbeiten noch einmal sehen wollte, um zu überprüfen, ob sie etwas taugen. Zu dem Zeitpunkt hatte ihm eine fortschreitende Krankheit längst den Pinsel aus der Hand geschlagen.
Von dieser Ausfahrt gibt es ein rohes, kleines Video, von dem ich den Eindruck habe, darin sei ein Fazit seines künstlerischen Lebens enthalten, das sich aus einigen seiner Sätze zusammenfügt. Es ist auf jeden Fall eine Anregung für jene kulturpolitischen Debatten, die unausweichlich vor uns liegen, falls das gesamte Genre nicht gänzlich zur Ressoruce für Marketing und Management herunterkommen soll. (Das Video)
- Die zitierte Glosse: Das Mal eines banalen Brandeisens
- Martin Krusche: Hannes Schwarz (†)
- Beuys 101 (Eine Erzählung in Momenten und Episoden)
- Die Vernissage: Erweiterte Kunstbegriffe (Zur 2022er Ausstellung in Gleisdorf)