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Helga Maria Wolf

Trendepoche Mittelalter#

Der Trend ist nicht neu, aber ungebrochen. Mittelalterfeste, -märkte, Ritterturniere mit Programmpunkten bis zur "Sexy Feuershow" füllen die Kassen der Tourismusbetriebe und Standbetreiber.

Die Internetseite "Mittelalterfeste.com" listet für 2013 fast 20 Termine auf, mehr als die Hälfte davon in Niederösterreich. Nach der von einer Waldviertler Werbeagentur betriebenen Seite gab es elf Mittelalter-Events, nämlich in Marchegg, Plankenstein, Ternitz, Hainburg, Wolkersdorf, Traiskirchen, Baden bei Wien, Klosterneuburg, Araburg, Weiten und Eggenburg. Die Eggenburger Zeitreise innerhalb der historischen Stadtmauern entwickelte sich seit 1994 zum größten Mittelalterfest Österreichs. 30.000 Besucher - die teils in Sonderzügen anreisen - rund 150 Marktstände und ebenso viele Einzelveranstaltungen können sich sehen lassen. Nicht zu sehen sind moderne Verkehrszeichen, sie werden hinter Stroh und Wappenschilden versteckt. Auch die Marktstände sollen authentisch wirken. Plastikschirme, Elektrogeräte, Kunststoff- Preisschilder etc. sind verpönt. Im Lauf von fast zwei Jahrzehnten ist das Fest nicht nur gewachsen, es hat sich auch inhaltlich verändert. Zwar zeichnet noch immer der "Verein zur Erforschung des Mittelalters in Eggenburg" als Veranstalter, doch Musikdarbietungen in historischer Aufführungspraxis sind "Hexentänzen" und ähnlichem gewichen. Nicht mehr vorwiegend "Gewandete" in möglichst "echten" Kostümen bilden das Publikum, sondern auch jugendkulturelle Gruppen wie Gothics oder Rocker. Das 2010 erstmals herausgegebenen History-Magazin "Eggenburger Scriptum" bekräftigt: die Szene ist "vielfältig und inhomogen. Die wichtigste Grundregel sollte lauten, dass Freizeitgestaltung und Hobby Spaß machen. Insofern gibt es kein richtig oder falsch. Richtig ist das, bei dem man sich wohl fühlt."

Mit der Entwicklung vom Bemühen nach "Geschichte zum Anfassen" zum Live-Event steht Eggenburg nicht allein da. Nach Prinz Luitpold von Bayern schlug die Geburtsstunde der deutschen Mittelalterszene 1980 in Kaltenberg. Der Burgherr wollte ein neues Bierlokal mit einem Programm aus "Poesie und Magie" eröffnen. Dazu lud er einen Stuntman aus England ein, der mit bayrischen Gruppen ein Ritterturnier imitierte. "Anfang der 1990er Jahre war eine erste explosionsartige Entwicklung zu verzeichnen, die bis heute anhält," konstatiert Nicole Meisen im kürzlich erschienenen Sammelband "Fest und Event in Oberfranken". Die Bamberger Ethnologin sieht Mittelaltermärkte und Ritterspektakel als Teil einer "Festkultur mit Event-Charakter, die sich neben der herkömmlichen Fest- und Brauchkultur entwickelt." Allein in Deutschland sind es jetzt schon mehr als 500 Veranstaltungen jährlich, und es dürften noch mehr werden.

Die Mittelalterszene - eine Eigenbezeichnung - ist gut vernetzt. Vor allem ist sie vielfältig. Reenactors, die versuchen, historische Epochen möglichst authentisch nachzustellen, Hobbyhistoriker, junge Leute, die ihren Spaß haben und Gemeinschaft erleben wollen, zählen dazu, wie auch LARP- Aktivisten. Beim Live Action Role Playing spielt man Figuren aus dem Mittelalter ebenso wie aus dem Fantasy-Bereich. Spezialisierte Firmen bieten Zubehör für beide an. Ein LARP-Schwert aus Schaumstoff mit Latex-Überzug kann man um 40 Euro im Internet bestellen (einen Rohling zum Selbstbau sogar um die Hälfte), handgeschmiedete Schaukampfschwerte kosten das Sechsfache. Ein Hersteller warnt: "Bevor Sie sich dem Schaukampf widmen, sollten Sie eine Haftpflichtversicherung abschließen, denn der Schaukampf ist nicht ohne Risiko für Ihre Gesundheit und für die Ihres Partners." Kostüme und Requisiten für Mittelalterfeste findet man im Internet in reicher Auswahl. Wer sich nicht bei einer Spezialfirma eindecken will, kann bei E-Bay schon um 1 € ein "Mittelalterkleid mit Schnürung" erstehen. Zu den Veranstaltern zählen professionelle Eventagenturen ebenso wie Burgbesitzer, historische Vereine oder Museen. Manche Marktfahrer und Künstler haben ihr Hobby zum Beruf gemacht.

Die inszenierten Spektakel streben die möglichst perfekte Illusion einer mittelalterlichen Welt an, meint Nicole Meissen. Typisch für solche Events ist "eine Komposition verschiedener Elemente … die Mehrheit bietet 1000 Jahre Geschichte auf einem Platz vereint." Den Teilnehmern gehe es darum, in einem begrenzten Zeitraum so zu leben wie in einer vergangenen Epoche.Sie unterwerfen sich freiwillig einer vergangenen, unfreien, hierarchisch geprägten Gesellschaft und empfinden dies als Erholung vom Alltag.

Warum aber gerade das Mittelalter als Trend-Epoche ? Barbara Krug-Richter aus Münster (D) hat das Bedürfnis nach "erlebbarer Geschichte" erforscht. Die Ethnologin spricht von einer "fernen Zeit die offensichtlich jede Menge Projektionsfolien für Phantasien bietet". Sie verweist auf den Beginn in einer jugendkulturellen Szene, die "Leben wie im Mittelalter" als Freizeitgestaltung betrieb. Die Akteure bezogen ihre Kenntnisse aus der wissenschaftlichen Literatur. Sie nähten Kostüme und fertigten Alltagsgegenstände an, veranstalteten Mittelaltermärkte und Zeltlager. Dadurch fanden sie eine "partielle Heimat und alternative Identität". Zu den historisch interessierten Laien gesellte sich bald ein kommerzielles "Histotainment" (historical entertainment).

Schließlich können sich auch Museen dem Trend zu erlebbarer Geschichte nicht mehr verschließen. Im ärchäologischen Park Carnuntum sieht man bei Festen Legionstruppen aufmarschieren und Gladiatoren kämpfen. Österreichs größtes Römermuseum bietet Infotainment (Information und Unterhaltung) mit Händler- und Handwerkerstationen und lässt Kinder Schmuck, Schwerter und Schilde basteln. Das Museum in Asparn an der Zaya hat sich dem "Abenteuer Urgeschichte" verschrieben. Seit zwei Jahrzehnten sorgt hier die experimentelle Archäologie für "Aha-Effekte" bei den Besuchern. In der "Nacht der keltischen Feuer" erzählt man ihnen, wie vor 2000 Jahren mit Stein und Funkeneisen Feuer geschlagen wurde. Sie können das - neben anderen Aktivitäten, wie Holz prägen und Kerzen ziehen - auch selbst ausprobieren.

Erschienen in: Schaufenster Kultur.Region, 2013


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