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Graz 2003: Modellfall für modernen Stadtumbau? (Essay)#

Text und Bilder von

Peter Laukhardt

Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von

ISG Magazin Heft 1 / 2004 (Internationales Städteforum Graz)



Und tatsächlich, was sich an der seit 1999 zum Weltkulturerbe erklärten Stadt Graz verändert hat, ähnelt - wenn auch naturgemäß in anderem Maßstab – den Bauten an der „South Bank“ der Themse. Hier ist zunächst der wohl spektakulärste Museumsneubau Österreichs zu nennen, das von Peter Cook und Colin Fournier geplante Kunsthaus. Nach einem Bürgervotum gegen ein Projekt im Inneren des Schloßbergs und darauffolgenden Interventionen des Städteforums gelang es, die Stadt vom Ankauf der als Parkplatz genutzten unschönen Brache am rechten Murufer zu bewegen. Bekanntlich wurde mit dem Kunsthausbau auch das „Eiserne Haus“, eine denkmalgeschützte Konstruktion aus Gusseisen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, restauriert. Wenn auch die ausführenden Architekten den herrlichen Saal des obersten Geschosses durch Einbauten für Stiegen und Lift verdarben, zeigt sich hier, wie historische Substanz mit zeitgenössischer Architektur harmonisch verschmelzen kann.

Stadtteil an der Mur erwacht zu neuem Leben#

Neuzeitlich: Murufer mit Insel, Steg und Kunsthaus.
Neuzeitlich: Murufer mit Insel, Steg und Kunsthaus.

Was seit der Entscheidung für diesen Bauplatz an positiver Entwicklung an der heruntergekommenen ehemaligen Floßlände bewirkt wurde, kann tatsächlich als gelungener Eingriff in den Stadtkörper bezeichnet werden. Historische Bauten, darunter das Palais Wertlsperg, wurden saniert und erhielten neue urbane Funktionen. Die Adaptierung des an das Kunsthaus anschließenden Palais Thienfeld für kulturelle Nutzungen ist geplant. Im Lend-Viertel macht nun auch gehobene Gastronomie den alteingesessenen Lokalen im Altstadtkern am linken Flussufer Konkurrenz, aus Nachtlokalen wurden seriöse Cafés, ein bereits fast aufgegebenes Hotel wurde saniert, ein ehemaliger Standort am nahen Lendplatz wurde neu belebt, der Spatenstich für zwei weitere Beherbergungsbetriebe ebendort ist bereits erfolgt. Heute erinnert man schmunzelnd daran, dass in der Mariahilferstraße einst sogar Kaiser inkognito nächtigten.

Die vom New Yorker Künstler Vito Acconci für 2003 entworfene Murinsel und die damit verbundene Erschließung durch Stege, Stiegen, Lifte und Promenaden haben den Uferbereich wieder in das Bewusstsein der Bürger gerückt. Graz – vor allem aber seine Kultur – liegt jetzt wieder an beiden Seiten des Flusses. Wo sich mit ihm die „Kulturachse“ Minoritenzentrum – Mursteg – Schloßbergplatz – Schloßbergstollen – Forum Stadtpark – Universität schneidet, haben sich 2003 fast 1,5 Millionen Menschen bei den Eröffnungs- und Schluss-Festen und als staunende Inselpassanten getummelt. Immerhin so viele, wie die übrigen Veranstaltungen an Besuchern zählen konnten.

Die nicht kritiklos hingenommene Neugestaltung des „event“-tauglich gemachten Hauptplatzes und die mitten im Stadt-Zentrum errichteten Tiefgaragen des Kaufhauses Kastner & Öhler sind ebenfalls als Bausteine von „Urban Renewal“ zu betrachten – man hofft, damit wieder Besucher und Kaufkraft in die City zurückzuholen. Die Ergebnisse der sensationellen archäologischen Grabungen beim Garagenbau im Pfauengarten könnten sogar entlang eines neuen Abschnitts der „Kulturachse“ aufregend präsentiert werden.

Neue Blüte der Stadt-Bau-Kultur#

Neben den Förderungen des Denkmalamts hat auch die Stadt zur Renovierung wichtiger Gebäude ihre Sanierungsbeiträge verdoppelt (Nordsternhaus und Luegghäuser am Hauptplatz, Gemaltes Haus und Café Sacher in der Herrengasse), und auch Private haben lang vernachlässigte Bauten restauriert (Neutorgasse 7, Glockengießerhaus Kaiser-Franz-Josef-Kai 70). Die Kirche hat mit der Erneuerung des bedeutendsten Baus des Manierismus in Österreich, des Mausoleums Kaiser Ferdinands II., der Restaurierung des Gottesplagenbildes und des gotischen Tafelbildes von Conrad Laib im Dom große Zeichen gesetzt. Neben der leider mit wenig Rücksicht auf den alten Klosterbau vorgenommenen Neugestaltung des jahrelang vernachlässigten Volkskunde-Museums am Fuße des Schloßbergs erstanden auch in peripheren Teilen der Stadt neue Kulturbauten: die Stadthalle am Messegelände im Süden, das Literaturhaus in der Elisabethstraße, die Helmut-List-Halle auf einer Industriebrache hinter dem Bahnhof, das Kindermuseum beim Augarten. Im Norden wurde der älteste Kalvarienberg Österreichs vorbildhaft erneuert.

Wenn man die Reaktion von Grazern und Besuchern der Kulturstadt des Jahres 2003 richtig wertet, so gibt es natürlich auch Skepsis und Ablehnung, vor allem wegen der exorbitanten Kosten für den laufenden Betrieb. Überwiegend spricht man jedoch von gelungenem „Face-lifting“ für das Stadtbild, das auf jeden Fall viele Grazer auf ihre Stadt aufmerksam machte und Interessenten aus aller Welt anzog, wie die Steigerung der Nächtigungszahlen um 25 % beweist. Viele lernten dabei erstmals die Schönheit der Weltkulturerbestadt kennen. Und nach wie vor hinterlässt der Schloßberg den tiefsten Eindruck auf Erstbesucher – und gerade hier hat vor Jahren auf Betreiben des Tourismusverbandes der Stadtumbau eingesetzt: mit Stollenpassage, Dom im Berg, Lift, Uhrturmkasematte und – 2003 – Café.

Kommt das Weltkulturerbe unter die Räder? #

Vergänglich: Uhrturmschatten, desolates Palais Attems, Admonterhof ohne Portal.
Vergänglich: Uhrturmschatten, desolates Palais Attems, Admonterhof ohne Portal.

Leider hat es aber gerade im Kulturjahr 2003 auch negative Entwicklungen gegeben. So sehr die begonnene Umgestaltung des einzigartigen barocken Bibliothekssaales der Alten Universität gegenüber dem Dom zu einem Repräsentationszentrum des Landes Steiermark zu begrüßen ist, so bedauerlich ist, dass dafür durch das ehemalige Hofzeughaus eine Autodurchfahrt gebrochen werden muss. Ebenso unverständlich ist die Haltung des Landes beim Palais Attems. Direkt im Blickfeld, ja im Schnittpunkt der neuen Bauten zwischen Mur und Schloßberg, entging dem kundigen Besucher nicht, wie das bedeutendste Barockpalais von Graz verfällt. Abbröckelnde Stuckornamente im Inneren und die von der Baupolizei angeordnete Abschlagung von Fassadenelementen sind ein trauriger Beweis falscher Schwerpunktsetzung. Statt etwa die in Fabrikshallen ausgelagerten wertvollen Bestände des Joanneums in einem ansprechenden Ambiente zu präsentieren, wollte man, um Kosten zu sparen, das Palais sogar an Restaurierungswillige verschenken!

Bedrohlich: Kräne gegen Bürger vor dem Kommodhaus.
Bedrohlich: Kräne gegen Bürger vor dem Kommodhaus.

Weitere ernst zu nehmende Warnsignale: Diskussionen über eine Auflassung der von Erzherzog Johann ins Leben gerufenen Steiermärkischen Landesbibliothek und über die Aussiedlung der Alten Galerie aus dem Museumsbau in der Neutorgasse. Ganz und gar nicht in die Jubelmeldungen des Kulturjahres passten auch die trotz des Protestes von Altstadtkommission und Bürgern durchgepeitschten Veränderungen: der von der Baubehörde just während des politischen Interregnums angeordnete Abbruch des denkmalgeschützten Kommod-Hauses in der Welterbezone (hier stand das erste Grazer Opernhaus), die begonnene Zerstörung des Ensembles Oper-Thalia durch undimensionierte Aufbauten für Probebühne und Hotel, die Entfernung eines barocken Portals des Admonterhofs, die Zerstörung eines Villenparks durch einen Bürobau in der Schubertstraße. Wird vorauseilender Gehorsam der Politiker auch dem Barockhaus Sackstraße 28/30 den Garaus machen, wo Feuchtigkeit zum Abbruch ganzer Trakte berechtigen soll. Droht auch dem alten Münzhaus in der Hofgasse 3 wegen der „wirtschaftlichen Unzumutbarkeit der Sanierung“ der (Teil)Abbruch?

Im Interesse von 2003 wurden Kriterien des Grazer Altstadterhaltungsgesetzes von 1980 für temporäre Bauten wie Uhrturm-Schatten, Marienlift und Fassaden bewusst freier interpretiert - auch das Kunsthaus selbst fügt sich ja nicht für jeden in das Stadtbild ein. Dass die Gutachten der Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission auch bei anderen Eingriffen nicht beachtet wurden, wird die Stadt auf die „watchlist“ des UNESCO-Weltkulturerbes bringen! Ein kürzlich auf der Universität abgehaltener Altstadtkongress artikulierte deshalb scharfen Protest. Es bleibt abzuwarten, ob die von der Stadt eingeleitete Untersuchung zum Kommodhaus und die einberufene 2. Enquete den Wert des Erbes Altstadt wieder ins rechte Licht rücken. Dann könnte sich Graz weltweit als Modellfall für Stadterneuerung vorstellen.


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