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Das Ende der Werbung? #

Der US-Journalist Ken Auletta erklärt in seinem neuen Buch die Zukunft des Werbemarktes – und kommt darin zu einem verblüffenden Fazit. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE, 20. Dezember 2018

Von

Adrian Lobe


Smartphone mit Google+ und Facebook-Icons

Die Werbeindustrie steckt, wie die von ihr abhängige Medienbranche, in einem gewaltigen Umbruch. Die alten Platzhirsche wie WPP, Omnicom und Publicis zittern vor den mächtigen Tech-Konzernen, die den Online-Werbemarkt dominieren. Neun von zehn ausgegebenen Anzeigendollars landen in den Kassen von Google und Facebook. Google erzielte 2017 einen Werbeumsatz von 95 Mrd. Dollar, rund das Sechsfache des Werberiesen WPP. Der amerikanische Journalist und Medienkritiker Ken Auletta hat nun ein Buch mit dem Titel „Frenemies. The Epic Disruption of the Ad Business (and Everything Else)“ vorgelegt, das diesen Transformationsprozess analysiert.

Auletta wählt eine ganzheitliche Betrachtung. So schreibt er: „Der Versuch, die Medien ohne Anzeigen, den Treibstofflieferanten, zu verstehen, ist wie der Versuch, die Autoindustrie ohne Spritkosten zu verstehen.“ In einer freien Marktwirtschaft sei Werbung die „Brücke zwischen Verkäufer und Käufer“. Doch die sei einsturzgefährdet. Das einst komfortable Anzeigengeschäft werde bedroht von „Frenemies“. Darunter versteht der Autor Unternehmen, die kooperieren und konkurrieren. Auch Verbraucher sind nach Auletta „Frenemies“, die von „kostenlosen“ oder subventionierten Medienangeboten abhängig, aber zunehmend genervt sind. Sie kaufen sporadisch eine Zeitung, konsumieren dann doch lieber kostenlose Artikel auf Facebook.

Erosion der Privatsphäre #

Die klassischen Frenemies sind Facebook und Google. Sie sind Medien- bzw. Werbepartner und Konkurrenten. Anzeigenkunden wenden sich von Werbe- und Mediaagenturen ab und kooperieren lieber mit den Tech-Konzernen. Dank automatisierter und Algorithmus- basierter Abwicklung lassen sich Anzeigen zwar maßgeschneidert ausspielen, benötigen dafür aber jede Menge Nutzerdaten. Wer im Netz seine Zielgruppe ansprechen will, kommt an Google und Facebook nicht vorbei. „Von ihrer Natur her“, schreibt Auletta, „sind diese Unternehmen Zerstörer. Sie wollen belanglose Mittelsmänner ausradieren.“

Auletta, der regelmäßig für den New Yorker schreibt und mit dem Buch „Googled. The End of the World As We Know It“ (2009) ein vielbeachtetes Werk zum digitalen Wandel publiziert hat, ist ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet des Medien- und Werbemarktes. Für sein aktuelles Buch hat er mit Analysten, Journalisten, Professoren gesprochen, Bücher studiert und war auf Empfängen in Hotels, wo Facebook die Werbekunden hofiert. Entsprechend profund und ausgewogen ist seine Analyse. „Wenn Facebook tatsächlich das Internet werden würde, die Seite, die die Leute nie verlassen, wo sie Bilder und Nachrichten teilen, ihre Nachrichten bekommen, einkaufen, suchen, Fernsehen und Filme schauen, würde es einen schier unbezwingbaren Walled Garden kreieren“, lautet seine Einschätzung. Schon jetzt würden jeden Tag 100 Mio. Stunden Videos auf Facebook geschaut. Das ist mehr Zeit als die Leute vor dem Fernseher verbringen. Facebook kann mit seinen ausgefeilten Analytics-Systemen nachvollziehen, wie lange ein Clip angesehen wird. Dass diese Auswertung von Nutzerdaten und Hyperpersonalisierung zu einer Erosion der Privatsphäre führt, ist offenkundig.

Auletta widmet dem wichtigen Thema ein eigenes Kapitel, das mit dem Titel „Die Privatsphäre- Zeitbombe“ überschrieben ist. Der Ortungsdienst Foursquare könne zum Beispiel anhand eines Vergleichs der Laufkundschaft vorhersagen, ob der Umsatz in einem Geschäft steigt oder sinkt und wer die größten Wettbewerber in der Umgebung sind. Und die App weiß noch viel mehr. „Foursquare“, schreibt Auletta, „hat Daten über die, die einen TV-Werbespot sehen und dann ein Geschäft besuchen. Sie können sagen, ob man (die Restaurantkette; Anm.) Shake Shack oder eine Bar einmal oder zweimal in der Woche besucht hat, und sie als wahrscheinlicher Hamburger- Esser oder Bier-Trinker ins Visier nehmen, wofür dann die Anzeigenkunden zahlen.“ Über Beacons, Bluetooth-basierte Minisender, ließen sich überdies drahtlos Rabattgutscheine auf Handys schicken. Die Vernetzung von physischem und Online-Handel macht ganz neue, teils beängstigende Werbeformen möglich.

Der einstige Marketing-Chef des Zimmervermittlers Airbnb, Jonathan Mildenhall, wird zitiert: „Wir wissen alles über unsere Gastgeber. Gleiches gilt für unsere Gäste.“ Diese dystopische (Werbe-)Vision materialisiert sich in Sprachassistenten wie Alexa, die bloß vorgibt, eine digitale Dienerin zu sein, tatsächlich aber eine Verkaufsberaterin, vielleicht gar Spionin ist. „Alexa“, erklärt Auletta, „ist ein Agent, der nicht nur weiß, was man gekauft hat, sondern auch, wann man aufsteht, was man anschaut, liest, hört, fragt und ist.“ Interessant: 2017 wurde gut die Hälfte aller Produktsuchen über Amazon abgewickelt – und nicht über Google. Hier bahnt sich ein neues Wettrennen zwischen zwei Tech-Giganten an.

Werbung wird von Adressaten als etwas Lästiges empfunden, was man reflexhaft wegklickt. Laut einer Studie von PageFair und Adobe nutzen weltweit 200 Millionen Verbraucher Adblocker, mit denen sich Werbebanner maschinell unterdrücken lassen, was für werbefinanzierte Angebote (speziell für Verlage) ein großes Problem ist. Die smarte Lösung im Kampf gegen Werbeblocker ist Native Advertising, Werbung, die im Journalismus- Gewand daherkommt und nicht geblockt wird. Das Wall Street Journal hat unter dem Titel „Cocainenomics“ eine aufwendige Multimedia- Reportage mit Kartenmaterial und Videos zum Drogenkartell in Medellín publiziert, die aber keine Eigenrecherche, sondern Sponsored Content von Netflix war. Wobei hier gar nicht klar ist, wer auf wessen Plattform wirbt. Netflix auf den Seiten des Wall Street Journal? Oder umgekehrt? Der Sponsorenhinweis ist sehr diskret, was zumindest medienethische Fragen nach Transparenz aufwirft. Jedenfalls scheinen hier ganz neue Allianzen möglich. Eine Facebook- Studie prognostiziert, dass das Volumen für Native Advertising 2020 weltweit 53,4 Milliarden Dollar erreichen könnte – rund das Doppelte des Facebook- Werbeumsatzes.

Daten statt Werbung #

Trotzdem scheint sich ein Grenznutzen abzuzeichnen. Der US-Präsidentschaftsbewerber Jeb Bush gab in seinem Wahlkampf 80,2 Millionen US-Dollar für Werbung aus – das Fünffache dessen, was die Trump-Kampagne für Anzeigen aufwendete. Auletta wertet dies als Indiz dafür, dass zu viel Werbung kontraproduktiv sein kann. „In einer Zeit, in der Werbungen zunehmend als Unterbrechung empfunden werden, erscheinen mehr Anzeigen gleichbedeutend mit weniger Stimmen.“ Es komme vor allem auf das Targeting an.

Der Autor verdichtet seine Beobachtungen zu einer interessanten Überlegung: Durch die Detailliertheit von Nutzerdaten könnte dereinst überhaupt keine Werbung mehr nötig sein. James Whittaker, Digitalevangelist bei Microsoft, ist überzeugt: „In einer Welt von Daten braucht man keine Werbung.“ Maschinen würden den günstigsten Preis bestimmen und dechiffrieren, was der Verbraucher möchte. Wenn Alexa den Geschmack des Konsumenten ohnehin kennt, warum braucht man dann noch kreative Werbung? Die Zukunft könnte so aussehen, dass Werbung vom Rezipienten als solche gar nicht mehr erkannt wird oder schlicht nicht mehr notwendig ist.

Ob eine solche werbefreie Warenwelt eine Dystopie oder Utopie ist, lässt der Autor offen. Auletta hat in der narrativen Tradition amerikanischer Sachbücher eine luzide Vermessung der Werbeindustrie vorgelegt. Das Buch ist anschaulich, faktengesättigt und gehört neben Tim Wus „The Attention Merchants“ zu einer der hellsichtigsten Analysen der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie.

Buchcover

Frenemies.

The Epic Disruption of the Ad Business (and Everything Else)

Von Ken Auletta

Penguin Press

368 S., € 14,99

DIE FURCHE, 20. Dezember 2018