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Ein riskantes Tête-à-tête#

Die europäische Sonde "Rosetta", an deren Entwicklung Österreich beteiligt war, nähert sich dem "ukrainischen" Schweifstern "Tschurjumow-Gerasimenko", um Erkenntnisse über diesen Kometen zu sammeln.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 2./3. August 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Christian Pinter


Die 'Rosetta'-Landeeinheit 'Philae'
Die "Rosetta"-Landeeinheit "Philae" soll laut Planung noch heuer sanft auf der Oberfläche des Kometen aufsetzen.
© Grafik: ESA/AOES Medialab

"I mecht so gern landen, mecht in deiner Nähe bleibn" - mit diesen Zeilen stieß die österreichische Schauspielerin und Sängerin Maria Bill 1984 auf Platz acht der heimischen Hitparade vor. Nur ein Jahr später fasste die europäische Weltraumorganisation ESA den Entschluss, sich selbst diesen Wunsch zu erfüllen - und zwar beim Schweifstern Wirtanen. Doch letztlich verzögerten Probleme mit der Trägerrakete den Start. Als die ESA-Sonde am 2. März 2004 endlich abhob, war Wirtanen schon außer Reichweite.

1799 hatten französische Soldaten eine Stele bei Rosetta im Nildelta entdeckt. Sie trug einen uralten Text zu Ehren des Königs Ptolemaios V.. Da dieser in drei Sprachen eingemeißelt war, konnte Jean-François Champollion mit diesem "Rosetta-Stein" die Hieroglyphen entschlüsseln. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch ein Obelisk der Insel Philae - ein Huldigungsort der Isis. Dort soll die Göttin das Herz ihres zerstückelten Gatten Osiris wiedergefunden haben.

Von Ukrainern entdeckt#

Die ESA taufte ihre Sonde "Rosetta" und deren huckepack mitreisende Landeeinheit "Philae": Wie es hieß, sollten die beiden ähnlich wichtige Beiträge zur Erforschung des Sonnensystems leisten, wie ihre Namensgeber einst für die Ägyptologie. Finanziert wird das Unternehmen von 14 europäischen Nationen, darunter Österreich. Australien, Kanada und die USA zahlen ebenfalls mit.

Rosettas Ziel ist nun jener Schweifstern, den Swetlana Gerasimenko und Klim Tschurjumow, beide aus der Ukraine, im Jahr 1969 entdeckten. Auf dem Flug zum folglich Tschurjumow-Gerasimenko (Spitzname: "Chury") genannten Kometen passierte Rosetta bereits zwei Kleinplaneten: den rund fünf km kleinen teins sowie die 121 km große Lutetia. Solche Kleinplaneten sind Zeitzeugen aus den frühesten Tagen des Sonnensystems. Auch Kometen wurden vor gut 4,56 Milliarden Jahren geboren: Jedoch im kosmischen Tiefkühlhaus, bei Temperaturen von weniger als 230 Grad unter Null. Weil "Chury" noch nicht lange Gast im inneren, wärmeren Planetensystem ist, steckt er voll begehrter Urmaterie. Er ist eine Art "Zeitkapsel".

Wo genau die Krippe eines Kometen stand, lässt sich anhand seiner Edelgase abschätzen. Deren Anteil ist temperaturabhängig. Manche Kometen wurden offenbar zwischen den beiden fernsten Planeten Uranus und Neptun geboren, andere sogar weit hinter der Neptunbahn. Dank der frostigen Bedingungen standen dort draußen auch Substanzen als Baumaterial zur Verfügung, die ihrer Flüchtigkeit wegen auf Erden rar waren - zum Beispiel Wasser.

Das Verhältnis von Wasserstoff zum schweren Isotop Deuterium in unseren Weltmeeren passt zu jenem im Kometen Hartley-2, nicht aber zu dem der prominenten Kometen Halley, Hale-Bopp oder Hyakutake. So bleibt umstritten, welche Rolle Schweifsterne tatsächlich als einstige Wasserlieferanten spielten.

Kometenkerne sind nur wenige Kilometer klein. Sie bestehen aus einem Konglomerat von Gestein, Staub und Wassereis. Dazu gesellen sich andere gefrorene Verbindungen, die uns in gasförmigem Zustand besser vertraut sind, wie etwa Methan, Ammoniak, Kohlenmonoxid oder Kohlendioxid. Der US-Astronom Fred Whipple verglich Kometen 1950 mit "schmutzigen Schneebällen". Bei hohem Staubanteil sollte man aber vielleicht besser von "vereisten Schmutzbällen" sprechen: So wurde der Komet Tempel-1 im Jahr 2005 von der US-Sonde Deep-Impact mit einem 372 kg schweren Geschoss malträtiert. Beim Einschlag stoben 3000 bis 6000 Tonnen feinsten Pulverstaubs davon. Hätte die Sonde eine weiche Landung versucht, wäre sie im staubbedeckten Boden versunken.

Der römische Dichter Ovid liebte Verwandlungsgeschichten. Doch die Metamorphosen der Kometen hätten selbst ihm den Atem verschlagen: Nach Milliarden Jahren im fernen, kalten "Outback" gerät gelegentlich einer dieser kleinen Himmelskörper außer Kurs. In Sonnennähe stürzend, mag er zum ausgedehntesten Objekt im ganzen Planetensystem mutieren. Die Wärme verwandelt dann nämlich sein Eis in Gas. Es schießt durch Risse in der Kruste und reißt eingelagerten Staub mit sich. Nun ist der Kometenkern von einer mehr als erdgroßen, aber sehr dünnen Atmosphäre eingehüllt: der Koma. Rückt der Komet dem Zentralgestirn noch näher, drücken Sonnenstrahlung und Sonnenwind die Materie zum Teil von der Koma weg. So entsteht der mächtige Kometenschweif, der viele Dutzend Millionen km messen kann.

Das Gas in der Koma und im Schweif wird von der solaren UV-Strahlung zum Leuchten angeregt. Die Staubteilchen streuen das Sonnenlicht. Sie sind zumeist klein wie Zigarettenrauchpartikel. In ihrem Inneren steckt vermutlich ein silikatisches Teilchen, das von Kohlenstoffverbindungen und Wassereis umhüllt wird. Verdampft das Eis, haften die entsprechend veränderten organischen Mäntel aneinander. Der auf dem Kometenkern verbliebene oder dorthin zurückgesunkene Staub verklebt so und formt eine dunkle Kruste. Wie die US-Sonde Deep Space 1 verriet, ist das Antlitz des Kometen Borrelly sogar schwärzer als Tonerpulver.

Eine dunkle Erdnuss#

1986 funkte die ESA-Sonde Giotto die allerersten Aufnahmen eines Kometenkerns zur Erde: Halley sah aus wie eine Erdnuss - aber 15 km lang und dunkel wie Kohle. Nur an seiner gerade sonnenzugewandten Seite schossen vereinzelt helle Fontänen ins All. In Sonnennähe verlor Halley pro Sekunde 18 Tonnen Gas - vorwiegend Wasserdampf - und 20 Tonnen Staub. Beim Flug durch die Koma krachte dieser Staub mit bis zu 246.000 km/h auf Giottos Schutzschild. Knapp vor Erreichen der Minimaldistanz wurde die Sonde von einem Partikel mit einem Millimeter Durchmesser ins Trudeln gebracht und die Kamera zerstört. Den hundertmal weniger aktiven Kometen Grigg-Skjellerup passierte Giotto blind.

Mittlerweile hat sich Rosetta an "Chury" herangepirscht. Sie sollte ihn am 6. August erreichen und dann in eine enge Umlaufbahn um den etwa 5 mal 3 km kleinen Kern einschwenken - eine Pre-miere in der Raumfahrtgeschichte. Bereits jetzt sendet sie spektakuläre Fotos zur Erde: Demnach besteht die Miniwelt aus zwei unterschiedlich dimensionierten Brocken, die aneinander haften!

Das Tête-à-tête ist aber riskant. Niemand weiß mit Sicherheit, wie sich der Schweifstern verhalten wird. So schleuderten die Kometen Holmes und Linear im Jahr 2007 bzw. 2013 schlagartig riesige Mengen von Staub ins All. Allzu heftige Kollisionen mit kometaren Teilchen würde Rosetta nicht überstehen. Aufblitzender Staub könnte außerdem die Sternsensoren narren, mit denen sie ihre Raumlage überprüft.

Immer wieder werden Kurskorrekturen nötig sein. Die Sonnenstrahlung und der Sonnenwind drücken die Sonde weg; der stete Flug durch die staub- und gasbeladene Koma bremst sie hingegen ab. Besonders problematisch sind die geringe Anziehungskraft der Miniwelt und ihre höchst unregelmäßige Form. Die resultierenden Bahnstörungen verraten allerdings auch die genaue Kometenmasse und die Massenverteilung im Kern. Teilt man die Masse durchs Volumen, erhält man die Dichte: ist sie gering, dominiert Eis. Ist sie vergleichsweise hoch, steckt mehr Gestein darin.

Rosetta soll "Chury" aus 100, 20 und dann aus nur zehn km Abstand mustern. Dabei bildet das Instrument OSIRIS den Kometenboden mit immer feinerer Auflösung ab. Ein UV-Spektrometer überprüft die Häufigkeit der kometaren Edelgase. Das unter Österreichs Federführung entwickelte Rasterkraftmikroskop MIDAS tastet eingefangene Staubteilchen ab und bestimmt deren Feinstruktur auf einige Nanometer genau. Es kann vielleicht sogar zwischen losgerissenen Partikeln aus der Kruste und ganz frischen Teilchen aus dem Kerninneren unterscheiden. Das Massenspektrometer COSIMA analysiert die Häufigkeiten von chemischen Elementen, Isotopen und Molekülen im Kometenstaub. Auch hier wirkte das Institut für Weltraumforschung in Graz mit.

Im November soll sich Philae vom Mutterschiff lösen und die allererste weiche Landung auf einem Kometen wagen. Die Wissenschafter würden Philae am liebsten neben einer wilden Gasfontäne niedergehen lassen. Die Techniker hingegen ziehen aus Sicherheitsgründen ein möglichst ruhiges Terrain vor. Auf "Chury" ist die bei uns 100 kg schwere Landeeinheit jedenfalls leichter als ein Blatt Papier. Um beim Aufsetzen nicht gleich wieder abzuprallen, schießt sie Harpunen, die ebenfalls in Graz mitentwickelt wurden, in den Boden.

Sonnenannäherung live#

Philaes Kameras halten das Panorama am Landeplatz in 3D fest. Ein Bohrer arbeitet sich 20 bis 30 cm tief in die Kruste vor. Die Proben werden vor Ort untersucht, unter anderem vom Gas-Chromatografen PTOLEMY. Auch ein Mikroskop ist mit an Bord. Ein spezielles Spektrometer sendet Röntgenstrahlung und Alphateilchen aus, um die Chemie des Bodens zu bestimmen. Radiowellen werden quer durch den Kern zu Rosetta geschickt: Diese "Funktomografie" verrät die innere Struktur des Himmelskörpers.

"Chury" rotiert alle zwölf Stunden um seine Achse. Die Temperatur an seiner Oberfläche schwankt dabei rhythmisch zwischen minus 180 und plus 50 Grad C. Drei oder vier Monate soll Philae diesem Wechselbad standhalten. Die Astronomen sind praktisch live dabei, wenn sich der Komet immer weiter an die Sonne heranwagt. Seine Aktivität wird bis zum August 2015 anwachsen: Womöglich jagen dann pro Sekunde mehr als 220 kg Materie aus seinem Kern. Rosetta soll in seiner Nähe bleiben, bis der Treibstoff für die ständigen Kurskorrekturen aufgebraucht ist.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als freier Journalist in Wien und schreibt regelmäßig as-tronomische Artikel für die "Wiener Zeitung".

--> www.himmelszelt.at

Wiener Zeitung, Sa./So., 2./3. August 2014


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