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Invasoren und Kosmopoliten#

Viele Insekten- und Vogelarten sind weltweit unterwegs, um neue Lebensräume zu erschließen. Nicht wenige dieser Wanderbewegungen werden von den Menschen gefördert - aber nicht alle sind gut für die Umwelt.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 10./11. August 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Walter Sontag


Zugvögel
Die Zugvögel sind obligatorische Migranten, denn sie sind auf verschiedene, geographisch weit voneinander getrennte Lebensräume angewiesen.
Foto: © dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Invasoren und Migranten finden sich nicht nur in der Menschengattung. Unter den tierlichen Okkupatoren mögen manche Insektenvertreter am bekanntesten sein. Sklavenameisen fallen über benachbarte Ameisenvölker her und rauben dort Puppen, die als zukünftige Sklaven im "Heimatnest" Dienst tun. Schmarotzerfeldwespen erobern fremde Wespenbehausungen; das überwinternde Weibchen macht die dort lebende Königin durch ein spezifisches Verhalten für ihre Zwecke gefügig, legt in die Wirtszellen ihre Eier und lässt die "Kuckucksmaden" von den Wirtstieren aufziehen.

Globale Eroberungen#

Derartige Strategien, die schlicht zur Vielfalt und zum Tagesprogramm der Natur gehören, vollziehen sich in einem lokalen Rahmen. Sie haben sich während der Evolution im Laufe langer Zeiträume entwickelt und behauptet. Indes gibt es im Tierreich daneben großräumige und umfassende Eroberungsbewegungen - darunter solche mit weitreichenden, ausgesprochen problematischen Folgen für die Umwelt. Vielfach verlaufen sie eruptiv, und erfahrungsgemäß ist heutzutage menschliches Handeln die Ursache.

Makrogeographisch sind etwa die Asiatisierung der europäischen Marienkäferpopulationen durch Harlekin-Marienkäfer sowie die Afrikanisierung der amerikanischen Honigbienenbestände auf junge Invasionen zurückzuführen. In beiden Fällen hatte zunächst Homo sapiens mit seinen unmittelbaren, eigennützigen Interessen die Hand im Spiel.

Historisch sind bereits die allerersten amerikanischen Honigbienen exotische, von den Kolonisten eingeführte Fremdlinge; denn ursprünglich fehlten sie in der Fauna der Neuen Welt. Mithin bedeutete im Rückblick die Verschleppung von 47 afrikanischen Bienenköniginnen nach Brasilien streng genommen eine Verfälschung zweiter Ordnung. Gedacht war der Transfer zur Einkreuzung vermeintlich günstiger Eigenschaften. So stand am Beginn ein auf sein Labor begrenztes, züchterisches Veredlungsprojekt des Bienengenetikers Warwick Kerr.

Die Killerbienen#

Aber es kam, wie in der Realität eines Bienenhauses kaum anders zu erwarten: Entgegen den Vorkehrungen des Imkerforschers schwärmten aus 26 Bienenstöcken die gestachelten Bewohner aus. Was folgte, war die letztlich ungeplante Expansion der "neuen Sorte" bis nach Nordamerika. Fragwürdige Berühmtheit erlangten die aggressiven Hautflügler inzwischen unter der Bezeichnung Killerbienen.

Die Ausbreitungsgeschichte des Harlekin-Marienkäfers war dagegen ursprünglich von der biologischen Schädlingsbekämpfung getrieben. Aufgrund ihrer Effizienz im Vertilgen schienen sich die mit 19 Punkten ausgestatteten Tierchen dafür in besonderer Weise zu eignen. Ein Grund, sie für den Feldbau nach Europa und Amerika zu holen. Allerdings machen die Harlekine nicht nur mit Blattläusen kurzen Prozess. Auch unter den andersartigen Marienkäfern räumen sie kräftig auf. Darüber hinaus wirken sie, im Unterschied zu ihren einheimischen Verwandten, resistent gegen gewisse parasitische Einzeller. Die einstigen Hausherren geraten dabei ins Hintertreffen. Deshalb werden die angestammten siebenpunktigen Genossen immer seltener gesichtet.

In bester Absicht#

Die beiläufig, durch Unachtsamkeit, Naivität und Dummheit in die Welt verstreuten Plagegeister sind Legion: Feuerameisen, Kartoffelkäfer und Reblaus, Schaben unterschiedlicher Couleur und so fort. Die angeführten, mit besten Absichten gestarteten Bienen- und Käfertranslokationen können da freilich nicht trösten. Sogar solche von Expertengeist angestoßenen, "erfolgreichen" Verfrachtungsvorhaben verlaufen offenbar nach einem erschreckend ähnlichen Muster und führen schnell zum ökologischen Flächenbrand.

Den Anfang markieren rational formulierte Erwartungen und Ziele - doch in der Praxis nimmt eine unübersichtliche Eigendymamik unversehens der menschlichen Superspezies das Heft aus der Hand. Die eingeführten Organismen entfalten in der neuen Umgebung oft ungeahnte Vitalität, dabei von allerlei Zufälligkeiten, Missgeschicken unfreiwilliger Gönner und willkürlichen Freisetzungen unterstützt. Vor allem die generelle Globalisierung durch Handel, Transportwesen und Tourismus lässt grüßen.

Asiatischer Hirtenstar
Der ursprünglich asiatische Hirtenstar gehört zu den aggressivsten Invasoren.Foto: SontagDer ursprünglich asiatische Hirtenstar gehört zu den aggressivsten Invasoren.
Foto: © Sontag

Deutlich ferner als im Fall der flirrenden Sechsbeiner liegt uns die Vorstellung, dass sich auch aus dem Kreis der fliegenden Warmblüter, also der Vögel, agile bis aggressive Eroberer rekrutieren. Und das sind mittlerweile nicht wenige. Schon die Wanderlust, gewissermaßen ein möglicher Hebel zur Arealausweitung, ist vielen Arten eigen. Per se stellen die Zugvögel obligatorische Migranten dar. Sie sind auf Gedeih und Verderb, also im unbedingten Sinn, auf verschiedene geographisch weit voneinander getrennte Lebensräume angewiesen. Wo sonst als in warmen Zonen könnten etwa unsere Schwalben und Mauersegler im Winter ihre luftige Beute erhaschen?

Die Wanderungen der klassischen Zugvögel folgen freilich einer regelhaften Periodik. Allerdings nur im Großen und Ganzen. Denn dafür, dass nicht alles beim Alten bleibt, sorgt schon der Klimawandel. Zum Beispiel neigen Zugvögel immer mehr dazu, in den wärmer gewordenen Brutgebieten auch zu überwintern. Ebenso hat sich die Rückkehr der Brutwilligen aus dem Süden im Durchschnitt der letzten Frühjahre messbar verfrüht.

Die Invasion der Vögel#

Einen gänzlich anderen Typ saisongebundener Ortsveränderungen verwirklichen die Vögel, die in den Wintermonaten - aus dem Norden und Osten kommend - hierzulande in Wellen massiert einfallen, oft erratisch und in wechselnder Heftigkeit. Die Bezeichnung Invasionsvögel tragen sie insofern zu Recht. Seidenschwänze, Bergfinken und Wacholderdrosseln sind dieser Kategorie zuzuordnen. Ein Extrembeispiel dafür konnten vogelbegeisterte Naturfreunde vor einigen Jahren live in Ostösterreich nahe der ungarischen Grenze verfolgen: Unmengen von Bergfinken überfluteten während der kalten Jahreszeit die Region. In der Nacht konzentrierten sich um die vier Millionen Individuen auf einem Schlafplatz in einem Fichtenforst von der Größe dreier Fußballfelder. Nicht allein menschliche Beobachter nahmen am Naturschauspiel der (vor)abendlichen Masseneinflüge regen Anteil. Auch viele Greife fanden sich ein, auf frisches Finkenfleisch erpicht. Ein wahres Tischleindeckdich mitten im Winter!

Die einfallsartigen Quartierwechsel zählen wie der eigentliche, strenger datierte Vogelzug zu den Wanderungen der Vögel, die sich seit Ewigkeiten wiederholen - seien sie nun von der inneren Rhythmik und ihren Taktgebern (maßgeblich der Tageslänge) gesteuert oder von Kälteeinbrüchen und den kurzfristigen Ernährungsaussichten getrieben. Die Größe des Verbreitungsgebiets der einzelnen Arten bleibt dabei im Prinzip unberührt.

Anders liegt der Fall, wenn Spezies über die Jahre ihr Verbreitungsareal verschieben oder ausweiten, und dies womöglich mit Rasanz. Kaum jemandem wird heute etwa die Türkentaube als Eindringling im österreichischen Hoheitsgebiet auffallen. Und doch kommt sie hier erst seit 1938 vor. Vom Balkan aus rückte sie im 20. Jahrhundert mit erstaunlichem Tempo in westlicher Richtung vor. 1932 war die Donau als Verbreitungsgrenze gefallen, 1943 brütete sie erstmals in Wien, nur fünf Jahre darauf erreichte sie Dänemark, und nach weiteren sieben Jahren folgte der Brutnachweis für England.

Die Experten tun sich schwer mit Erklärungen für diesen raschen Vormarsch, und eine sichere Antwort lässt noch immer auf sich warten. Denn die Türkentaube scheint unter den gefiederten Neubürgern (Neozoen) ein Sonderfall zu sein. Doch bei vielen anderen Vögeln beruht das Eindringen in neue Gebiete schlicht auf dem Eingreifen des Menschen.

Der Sieg des Sperlings#

Der Haussperling, unser Spatz, steht für diesen üblichen Expansionsweg. Er repräsentiert das sprichwörtliche fliegende Mitbringsel des weißen Mannes. Längst ist er außerhalb des eigentlichen Heimatgebiets auf fernen Inseln im Indischen und Pazifischen Ozean, im Süden Afrikas und in Australien zu Hause. In den USA schätzt man seine Zahl auf 150 Millionen. Ob am Tafelberg, im Central Park oder in Blickweite von Sydneys geschwungener Opernhalle, Stadttouristen werden den grau-braunen Kulturfolger überall antreffen - so scheint es jedenfalls bislang. Wohin die Spezies einmal verpflanzt wurde, ließ sie sich nicht mehr vertreiben.

Nach einer kürzlich erschienenen Studie sollen acht Spatzenpaare in der Mitte des 19. Jahrhunderts ausgereicht haben, das europäisch-orientalische Faunenelement dauerhaft in New York zu etablieren. "Dem Haussperling ist die Menschheit bisher weder theoretisch noch praktisch ganz gewachsen," hieß es lapidar vor fünfzig Jahren in einem Klassiker der vogelkundlichen Literatur. Gemeint waren damit die Durchsetzungskraft der Spezies und die entgegen ihrer Häufigkeit kaum verstandenen Lebensgewohnheiten.

Beides muss man heute freilich relativieren. Zum einen ist nämlich seither unser Wissen über den wendigen Knirps, vor allem auch über sein komplexes bis undurchsichtiges Gruppenleben, beträchtlich gewachsen. Zum anderen gerät der vermeintlich unverwüstliche Allerweltsvogel in den Industrieländern zunehmend unter Druck, und zwar sowohl in den Städten wie auf dem Land.

Gut möglich, dass die frischgebackenen Neozoen in den Vereinigten Staaten schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ihre Blütezeit überschritten hatten. Definitiv sind ihre Bestände in weiten Teilen dieses neu in Besitz genommenen Lebensraums geschrumpft. Eine Agrarwirtschaft, die die Landschaft ausräumt und auf Monokulturen, Chemie und rationelle Erntemethoden setzt, dürfte selbst den robusten Vertretern des Vogelreichs zusetzen.

Überdies wurden die Spatzen sehr bald als Landplage empfunden und die Verfolgung offen propagiert. Obendrein erhielten sie Konkurrenz von einem weiteren altweltlichen Neuankömmling in der Neuen Welt, dem Star. Dieser Höhlenbrüter entpuppte sich (ebenfalls mithilfe des Menschen) bis nach Alaska und Tasmanien als überaus erfolgreicher Kosmopolit, nur dass er ein stattliches Stück größer und kräftiger ist als sein schilpender Vetter. Außerdem profitieren Stare von ihrer ausgeprägten Lern- und Anpassungsfähigkeit. Indes nützt ihnen das im Angesicht überbordender Raumvernutzung und Agrarindustrialisierung nur noch in Maßen. So sind sie auf dem europäischen Heimatkontinent ebenso wie die Sperlingsriege vielerorts erheblich seltener geworden.

Gesang aus der Heimat#

Star und Spatz hatten zu Zeiten der Einbürgerungseuphorie noch gemeinsam zum Kontingent des Artenpotpourries gehört, das die "Cincinnati Acclimatization Society" aus Europa angefordert hatte. Die Betreiber des Unterfangens entließen in God’s Own Country zwischen 1872 und 1874 rund viertausend Individuen mindestens 18 europäischer Singvogelarten. Die gebietsfremden Tiere sollten Schadinsekten den Garaus machen und zugleich die Siedler mit ihrem "erhebenden Gesang" aus der früheren Heimat begleiten. Allerdings behaupteten sich von den Vögeln dieser Aussetzungsorgie lediglich Star und Sperling auf Dauer.

Vergleichbare Akklimatisationsprojekte gab es in Hülle und Fülle. Sie wurden nicht nur in Nordamerika angezettelt, sondern auch in Australien und ganz besonders in Neuseeland. Die grünen Zwillingsinseln degenerierten auf diese Weise zu einem transkontinentalen Lebensraum-Verschnitt mit einer starken europäischen Note aus Amseln, Steinkäuzen, Höckerschwänen und allerlei anderem Getier.

Mit dem durchschlagenden Erfolg der Einbürgerungen offenbarten sich die Nachteile für Hof, Feld und Flur. Dank ihrer Drastik blieben sie selbst den blauäugigsten Kolonisten nicht verborgen: Ernteverluste und Verunreinigungen im großen Stil, das heißt in heutiges Wissen übersetzt, die Gefahr für die Übertragung von Krankheitserregern auf Mensch, Tier und Nutzpflanzen. Vom ökologischen Desaster für die ursprüngliche Tier- und Pflanzenwelt gar nicht zu reden.

Unwillkürlich mag sich unsereiner an die Krähenschwärme erinnert fühlen, die in unseren Breiten den Herbst und Winter über in vielen Städten auftauchen. Obwohl ebenfalls eine relativ junge Erscheinung, ist sie jedoch ein Phänomen völlig anderen Zuschnitts. Die schwarzen Vögel zieht es aus den unwirtlichen Kältepolen des Ostens und Nordens vornehmlich in die künstlich aufgeheizten Stadtagglomerationen. Zudem bietet sich den intelligenten und anpassungsfähigen Tieren im Umland sowie im urbanen Raum selbst ein beachtliches Potenzial an Ernährungsmöglichkeiten, die direkt oder letztlich an die Lebensart des modernen Menschen gekoppelt sind. Zum Beispiel: Abfall und Speisereste.

Aber: wir haben es - zumindest ursprünglich - mit einem vorübergehenden, periodischen Vorgang zu tun, der streng genommen unter die Rubrik Winterquartier fällt. Auch lässt in Europa der Drang in den Westen gegenwärtig offenbar nach!

Andererseits deutet sich neben der Zugbewegungskomponente zweifellos eine Verschiebung der Krähenökologie an. Die amerikanischen "Krähenpäpste" John M. Marzluff und Tony Angell sprechen gar von einer wechselseitigen Beeinflussung von Krähen- und Menschenkultur. Gleich zu Beginn ihrer Argumentation greifen sie auf die indignierten Beobachtungen Mark Twains während einer Indienreise zurück, der die dortige Glanzkrähe als Spieler, miesen Komödianten, charakterlosen Priester, Anwalt und Redner, Lügner und Dieb, Spion und Schwindler, Sünder, Rebellen und dergleichen mehr beschreibt. Infolge menschlicher Dummheit wurde dieser Krähenvertreter tatsächlich zu einem bedrohlichen Kosmopoliten.

Die Glanzkrähe zählt zu den vier invasiven Vogelformen, die den Star in den Wirkungen auf die natürlichen Artengemeinschaften global weit in den Schatten stellen. Außer dem nah verwandten Hirtenstar handelt es sich hierbei noch um zwei auf den ersten Blick eher harmlos wirkende fruchtfressende Bülbüls. Diese hierzulande kaum bekannten Vögel drohen aufgrund ihrer Ernährungsweise die Vegetation in den heimgesuchten Gebieten vollkommen umzukrempeln. Über ihre Ausscheidungen verbreiten sie bevorzugt Samen gebietsfremder Pflanzenvertreter, insbesondere für Inselfloren mit hohem Endemitenanteil eine tödliche Gefahr.

Der gehasste Vogel#

Generell gelten Insel-Ökosysteme als die größten Leidtragenden der vom Menschen eingebrachten Tiere. Unter ihnen nehmen die Glanzkrähe und der Hirtenstar eine Sonderstellung ein. Einmal verpflanzt, setzten sie sich in den Siedlungsgebieten des Menschen fest, eroberten zusätzliche Areale und attackieren bis heute die einheimische Tierwelt.

Der Hirtenstar, dem gegenüber unser Star als ein sanfter Weisenknabe erscheint, tritt in der Avifauna nicht nur als Konkurrent um Nahrung und Nistplatz auf. Überdies ergötzt er sich an der Brut anderer, womöglich auf einzelne Inseln beschränkter Vogelarten. Vormals auf manchen Inseln zur Schädlingsbekämpfung freigelassen und heute ein halber Kosmopolit zwischen Südafrika, Taschkent und Hawaii, wird das robuste Tier jetzt vielerorts verfolgt. In Australien ist er der meistgehasste Vogel. Diverse Methoden zu seiner Vernichtung wurden ersonnen. Um die überaus gelehrigen Invasoren auszurotten, werden sie allerdings kaum ausreichen.

Walter Sontag, geboren 1951, promovierter Zoologe, schreibt als freier Autor über biologische, ökologische und kulturelle Themen; lebt in Wien.

Wiener Zeitung, Sa./So., 10./11. August 2013