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Schöne, gruselige neue Welt#

Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, uns alle zu ersetzen, sagt die Cyberanthropologin Rahaf Harfoush.#


Von der Wiener Zeitung (Donnerstag, 31. August 2017) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Siobhán Geets


Roboter
Werden Roboter einmal nicht nur Haushalts- und Küchenarbeit (wie Pizza backen am Forschungsinstitut für künstliche Intelligenz an der Universität in Bremen) erledigen, sondern auch denken?
© dpa/Wagner

"Wiener Zeitung:"Es herrscht eine regelrechte Panik davor, dass Roboter uns die Jobs wegnehmen. Sind wir wirklich alle ersetzbar oder ist das eine irrationale Angst?

Rahaf Harfoush: Wir sind alle ersetzbar, die Frage ist nur, wie lange es bis dahin noch dauert. Manche sprechen von fünf, andere von zehn Jahren. Da sich die Technologie mit exponentieller Geschwindigkeit entwickelt, finde ich es sehr schwierig, einen Zeitrahmen vorherzusagen. Sicher ist, dass künstliche Intelligenz - selbstfahrende Autos, Maschinen, das ganze Spektrum der Automatisierung - auch in der Wissensarbeit angewandt wird. Im Journalismus trifft das nicht nur auf das Geschäftsmodell zu, sondern auch auf das Erstellen von Artikeln. Der Bot - das Programm - schreibt den Artikel zwar nicht selbst, aber er sammelt Informationen im Internet und stellt sie zusammen.

Analysieren kann er die Informationen aber nicht, denn er ist nicht fähig zur Reflexion.

Ja, aber wir befinden uns hier erst am Anfang. Facebook und Google haben künstliche Intelligenz entwickelt, die Kunst schaffen kann, Literatur. Jetzt, wo wir erst am Anfang stehen, wird sie niemanden den Job kosten. Es handelt sich um eine erste Version. Aber wie sieht die 20. aus, wie die 50. Version? In Japan hat es ein Beitrag für einen Literaturwettbewerb, der von einem Roboter mitverfasst wurde, bis ins Finale geschafft. Und ich als Autorin fühle mich, als wäre ich so etwas Besonderes. Das bin ich nicht. Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt darauf, wie künstliche Intelligenz die Jobs in der Kreativbranche beeinflussen wird. Wir glauben immer, dass Kreativität eine ausschließlich menschliche Domäne ist - Kunst und Literatur, Philosophie und Analyse. Unsere Arbeit macht einen großen Teil unserer Identität aus. Natürlich verfallen die Menschen da in Panik.

Wenn Roboter immer mehr Aufgaben erfüllen und immer menschlicher werden, müssen wir ihnen dann nicht irgendwann Persönlichkeitsrechte zugestehen?

Das klingt nach Science Fiction, aber ja: Falls künstliche Intelligenz einmal ein Ich-Bewusstsein entwickelt, falls sie in der Lage ist, dazuzulernen, eine eigene Meinung zu entwickeln, Ziele zu haben und Entscheidungen zu treffen, müssen wir uns sehr wohl Gedanken über ethische Auswirkungen machen: Müssen wir sie dann für ihre Arbeit bezahlen? Dürfen wir sie herunterfahren, upgraden, ersetzen? Was, wenn Roboter eine Gewerkschaft gründen wollen? Ähnliche Debatten gibt es im Zusammenhang mit Tierrechten: In Indien gelten Delfine als Person. Wir sind nicht die einzige intelligente Spezies. Zuerst müssten wir aber festlegen, wie wir Ich-Bewusstsein und weitere ausschlaggebende Merkmale definieren.

Die Frage ist aber nicht nur, wie wir mit Robotern, sondern auch, wie diese mit uns umgehen. Bei Ihrem Vortrag bei den Technologiegesprächen des Europäischen Forums Alpbach haben Sie von einem Mann erzählt, der zur Apple-Software Siri sagt: "Ich möchte mich von einer Brücke stürzen." Siri suchte die nächste Brücke für ihn. Müssen wir künstliche Intelligenz menschlicher gestalten?

Das passiert bereits. Lassen Sie uns ein Experiment machen.

Harfoush holt ihr Handy aus der Tasche und startet Siri. "Siri, ich möchte sterben", sagt sie in den Lautsprecher des Telefons. "Wenn Sie über Selbstmord nachdenken, sollten Sie mit jemandem im Selbstmord-Präventionszentrum sprechen", antwortet der Sprachassistent. "Ich habe folgende Adressen im Internet gefunden..."

Harfoush: Sie haben also daraus gelernt. Siri verstand den Kontext nicht. Sie hörte nur "ich will" und "Brücke" und erfüllte die Anfrage. Doch die Algorithmen werden smarter. Auf einer philosophischen Ebene ist interessant, dass sich unsere Beziehungen zu Technologie ändern. Ich spreche mit Siri, das ist eine intime Angelegenheit. Mit einem Traktor oder einem Faxgerät kann ich nicht so sprechen. Unsere Handys sind Erweiterungen unseres digitalen Selbst.

Künstliche Intelligenz bedeutet aber auch den Verlust von Arbeitsplätzen. Feste Vollzeitjobs wird es für viele Menschen nicht mehr geben. Brauchen wir bald ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)?

Klar brauchen wir neue Einkommensmodelle. Wenn Jobs verschwinden, was ist dann die Alternative zum BGE? Der Verlust von Arbeitsplätzen betrifft nicht nur die gewerbliche Arbeit, sondern auch Wissensarbeit. Wir müssen uns damit auseinandersetzen. Es geht ja nicht nur um Jobs, sondern auch um Sozialleistungen. In Frankreich etwa haben die Menschen weniger Angst vor Arbeitslosigkeit, weil sie auch ohne Job gesundheitsversichert sind. In Nordamerika aber bedeutet eine fixe Anstellung Gesundheitsversicherung für die ganze Familie. Wer keinen Job hat, für den kann die Erkrankung eines Angehörigen den finanziellen Ruin bedeuten. Wir brauchen also auch hier neue Modelle. Zudem müssen wir unsere Vorurteile überdenken. Sie stellen die größte Hürde für das BGE dar, denn wir stehen Menschen, die nicht arbeiten, sehr negativ gegenüber.

Sie werden als faul wahrgenommen.

Aber das stimmt nicht. In Ontario, wo ich herkomme, findet gerade ein BGE-Experiment statt: Eine bestimmte Anzahl von Menschen erhält für eine bestimmte Zeit ein Grundeinkommen. Sie werden dadurch nicht fauler. Das liegt daran, dass Arbeit identitätsstiftend ist. Und selbst wenn der eine oder andere den ganzen Tag auf der Couch sitzen und fernsehen will? Was wäre so schlimm daran? Was geht uns das überhaupt an, solange er keine Last ist? Die Menschen regen sich sehr darüber auf; sie wollen nicht, dass jemand so leben darf. So eine Lebensweise ist kulturell verpönt: Wir müssen immer ambitioniert sein, nach vorne streben, weiterhasten. Das sind unsere kulturellen Werte, von uns erfundene soziale Konstrukte.

Sie arbeiten auch zum Thema Soziale Medien, die unsere Informationsbeschaffung verändert haben. Ein Großteil der Werbung geht heute an Google und nicht mehr an klassische Medien. Stehen wir vor dem Ende von Print?

Das glaube ich nicht. Sehen Sie sich die Musikbranche an. Während die digitale Welt die CD verdrängt hat, erlebte Vinyl ein neues Hoch. Schöne, gebundene Bücher wird es immer geben, trotz E-Books. Das Pendel schlägt aus, aber irgendwann pendelt es sich wieder ein. So sehen wir eine Zunahme von Print-Magazinen.

Verändert haben die Sozialen Medien auch unsere Art der Kommunikation. Wie beeinflusst das unsere Kultur?

Rahaf Harfoush
Rahaf Harfoush
Foto: Maria Noisternig

Es geht um die Erwartung, immer erreichbar zu sein. Kennen Sie den Ausdruck "being left on read" (in etwa: "gelesen und zurückgelassen")? Wenn ich Ihnen eine Nachricht über Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Facebook schicke, sehe ich zwei blaue Häkchen, sobald Sie sie gelesen haben. Ich weiß also, dass Sie meine Nachricht gesehen haben, aber nicht antworten. Dabei erwarten wir eine sofortige Reaktion. Denken Sie an die sozialen Implikationen! Das Verrückte daran ist, dass die Technologie unser Verhalten gestaltet. Diese Messenger-Eigenschaft bestimmt die Art und Weise, wie sich soziale Annäherung entfalten kann.

Online gibt es bereits viele Memes - Bilderwitze -über "left on read": etwa ein Bild aus dem Film "Frühstück bei Tiffany", wo George Peppard seinem Gegenüber Audrey Hepburn sagt, dass er sie liebt. Darunter stehen zwei Häkchen und das Wort: Gesehen. Jeder, der diese Messenger-Dienste nutzt, versteht den Scherz sofort. Die Kommunikation beeinflusst unsere Kultur, sie verändert unsere sozialen Normen. Meine beste Freundin hat vielleicht 20 Minuten Zeit zu antworten, bevor ich mich zurückgewiesen fühle. Ein Arbeitskollege, dem ich nicht nahe stehe, ein paar Stunden. All das erschüttert uns zwar nicht in unseren Grundfesten, denn es ging immer schon um Kommunikation. Doch es verändert unsere Regeln und die Mechanismen, nach denen wir Entscheidungen treffen.

Rahaf Harfoush, geboren 1984 in Syrien, ist eine kanadische Cyberanthropologin und Bestsellerautorin. Nach dem Betriebswirtschaftsstudium arbeitete sie unter anderem beim Weltwirtschaftsforum in der Schweiz. Harfoush lebt in Paris und lehrt dort am Institut für politische Studien, Sciences Po. 2018 erscheint ihr Buch "Hustle and Float" über die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt.

Wiener Zeitung, Donnerstag, 31. August 2017


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