Die Welt ist doch eine Scheibe#
Vor 30 Jahren begann die Ära der Compact Disc, die heute wegen digitaler Downloads als Auslaufmodell gilt#
Von der Wiener Zeitung (Dienstag, 26. April 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Matthias Greuling
- Die CD revolutionierte das Musikgeschäft.
- Nach Boom-Jahren brach der Absatz ein.
- "Vater der CD" starb am Wochenende in Tokio.
Wien. Ein Geburtstagsständchen ist eigentlich unangebracht. Lieber sollte man vielleicht einen Grabgesang anstimmen. Denn die Compact Disc, deren Vermarktung vor exakt 30 Jahren begann, hat zwar eine glorreiche Karriere hinter sich, steht aber schon seit einigen Jahren mit einem Bein im Jenseits. Illegale und legale Musik-Downloads aus dem Internet haben die Silberscheibe beinahe obsolet gemacht, nur noch zum Muttertag, zu Weihnachten und in Volksmusikkreisen ist die CD bis heute ein Kassenknüller.
Im schnelllebigen Popgeschäft verliert sie als Trägermedium rasant an Bedeutung, so manch neuer Release wird überhaupt nur mehr digital via Netz angeboten. Denn die Jugend trägt mit ihren iPods in Zündholzschachtelgröße nicht selten tausende Musikstücke mit sich, da ist die zwölf Zentimeter große Scheibe einfach zu sperrig, die 74 Minuten Spielzeit kosten die Teenies bestenfalls ein müdes Lächeln. Und außerdem: Warum für etwas bezahlen, das es ohnehin gratis (oder zumindest: günstiger) aus dem Internet gibt?
Dabei fing alles so vielversprechend an. Als Star-Dirigent Herbert von Karajan am 15. April 1981 mit Vertretern der Firmen Philips und Sony den Startschuss für die Vermarktung der "Compact Disc" gab, stand vielleicht nicht die größte, aber die profitabelste Revolution des Musikgeschäfts bevor: eine kompakte Scheibe, weniger empfindlich als die Vinyl-Platten, glasklar im Klang und durch die digitale Musikspeicherung verlustfrei kopierbar. Kein Wunder, dass die Musikindustrie damals vor allem die Fans klassischer Musik als Zielgruppe ausmachte und daher Karajan als Zugpferd wählte.
Der Siegeszug der CD gelang durch Pop-Musik#
Dabei hatte man sich damit eigentlich verkalkuliert: Denn die Klangpuristen wehrten sich gegen den zu klaren und darob trockenen Sound und klammerten sich verzweifelt an ihr Vinyl, dem man mehr Wärme und Klangtreue bescheinigte. Dafür gelang der CD rasch der Durchbruch in der Pop-Welt: 1985 war das Album "Brothers in Arms" von den Dire Straits das erste, das sich mehr als eine Million Mal verkaufte. Der CD- überholte den LP-Absatz. Künstler wie Michael Jackson oder Madonna sorgten dank der CD in den 1980er Jahren für die fettesten Jahre in der Musikindustrie – die sich bis heute kopfschüttelnd wundert, dass ihr einstiges Erfolgsrezept so gar nicht mehr funktioniert.
Der Legende nach waren das 12-Zentimeter-Format und die 74-minütige Spieldauer Vorgaben der Industrie, um Ludwig van Beethovens Neunte Symphonie auf eine einzige Scheibe zu bekommen. Die Gattin des damaligen Sony-Vizepräsidenten soll das Stück ausgesucht haben, weil es ihr so gefiel. Auf 74 Minuten wurde die Spieldauer damals allerdings aufgrund einer besonderen Aufnahme festgelegt: Die Aufführung der "Neunten" bei den Bayreuther Festspielen von 1951, die Wilhelm Furtwängler dirigierte und die langsamste Version des Beethoven-Klassikers sein soll.
Entwickelt wurde die Audio-CD von Ingenieuren der Firma Philips, die bereits 1963 mit der Erfindung der Compact Cassette die Musikwelt revolutionierten, weil man Tonträger damit erstmals handlich und mobil machte. Die CD sollte diesen Weg fortsetzen. Gemeinsam mit Sony einigte man sich auf einen Standard, 1982 erfolgte die Markteinführung. Federführend beteiligt am Siegeszug der silbrigen Scheibe: Norio Ohga, von 1982 bis 1995 Chef von Sony. Ohga, auch "Vater der CD" genannt, ist nun dieses Wochenende gestorben. Nachfolger Howard Stringer würdigte den 81-Jährigen als "visionäres Talent".
30 Jahre nach der Innovation sind die ersten CDs jedoch mitunter bereits unlesbar: Laut Experten zersetzt sich das Trägermaterial Makrolon sowie die darunter liegende dünne Metallschicht, auf der die Daten mit Spritzgussmaschinen aufgebracht werden, nach 30 Jahren von selbst. Bei selbst gebrannten CDs kennt man das Problem der Unlesbarkeit schon nach wenigen Jahren.
Die CD brachte digitale Technik in analoge Haushalte#
Auch, wenn diese Haltbarkeitsdebatte die gesamte digitale Speicherung von Daten umfasst (auch Festplatten und andere Speicher sind nur begrenzt haltbar), so setzte die CD ihren Siegeszug rasch fort: 1984 wurden insgesamt drei Millionen CDs abgesetzt, 1988 waren es bereits 100 Millionen. Vinyl verschwand beinahe völlig von der Bildfläche, nur DJs und Puristen hielten das Medium am Leben.
Die Einführung der CD hatte damals jedoch eine größere Bedeutung als bloß den Wechsel auf ein anderes, robusteres Trägermaterial und die Perfektion des Klangs. Es ging um nichts weniger als um die Einführung der digitalen Technik in die Haushalte – die gesamte Unterhaltungselektronik war analog, und selbst ambitionierte Versuche wie die Einführung der Laserdisc scheiterten grandios. Doch mit der CD begann ein Wandel: Bis dahin befassten sich nur Nerds mit Heimcomputern, doch kurz nach Einführung der CD stellte IBM den ersten PC vor, und Commodore brachte den C64 heraus. Bits und Bytes drängten in die Wohnzimmer. Der Erfolg der CD brachte der Musikindustrie ihren größten Boom, weil viele Fans ihre alten Vinylscheiben gleich noch einmal auf CD nachkauften. Schnell wurde die CD auch als Speicher für Computerprogramme genutzt, und Anfang der 90er Jahre war die Welt für viele Musikliebhaber tatsächlich eine Scheibe.
Doch dann kam die Erfindung des Datenformates MP3. Es braucht nur ein Zehntel des Speicherplatzes, die vergleichbare Daten auf einer CD benötigen. Datenreduktion hieß das Zauberwort, und immer mehr Musik- oder Video-Content passte auf immer größere Speicher, die in immer kleineren Gehäusen steckten. Interessanterweise konnte der gravierende Nachteil dieser Datenreduktion ihren Siegeszug nicht stoppen: Wenn die CD das Nonplusultra für Klangqualität war, so verhält sich die stark dezimierte Datenmenge eines MP3-Titels dazu wie einstmals die Musikkassette zur LP. Wissenschafter haben herausgefunden, dass die verminderte Tonqualität von (illegal) heruntergeladenen Inhalten zu einem völlig anderen Hörverhalten bei jungen Menschen geführt hat. Was HiFi bedeutet, könne die neue Generation von Konsumenten gar nicht mehr beurteilen.
Downloads sind Goldgrube und Gefahr zugleich#
Die zunehmende Bedeutungslosigkeit der CD bringt auch Probleme für die anderen optischen Datenträger mit sich: Sowohl DVD als auch Blu-ray, die zur Speicherung von Filmen oder Daten verwendet werden, kämpfen mit den modernen Zeiten. Ihr Speicherplatzangebot (DVD: 4,7 Gigabyte, Blu-ray bis zu 50 GB) ist jenem kleiner Festspeicher (etwa SD-Karten) längst unterlegen, und auch der Download oder das Streaming von Filmen über das Internet gewinnt mit steigenden Breitband-Anschlüssen an Fahrt. Die Industrie kann durch die Verlagerung des gesamten Content-Geschäfts auf das Internet eine Menge Kosten sparen: Die Produktion und der kostenintensive Vertrieb von CDs oder DVDs entfallen komplett. Downloads kosten für den Endkunden etwas weniger, wobei die Industrie ihre Gewinnspannen dennoch ins Unermessliche steigern kann. Eigentlich eine Schlaraffenland-Lösung für alle, wenn, ja wenn da nicht der unstillbare Trieb der Konsumenten wäre, sich Film- oder Musik-Content auf kostenfreiem Wege zu beschaffen. Die moderne Technik, sie hat sich selbst ein Bein gestellt, indem sie verlustfrei kopiert werden kann. Und selbst der aufwendigste Kopierschutz ist bisher von Hackern in wenigen Stunden geknackt worden.
Zum 30er der CD muss sich die Musikindustrie also mehr denn je die Überlebensfrage stellen. Jedoch zeigt sich bei all den Grabgesängen, die schon bei Kassette oder LP, bei Buch, Kino und Fernsehen stattgefunden haben, dass das Rieplsche Gesetz von 1913 nach wie vor Gültigkeit hat: Es besagt, dass kein Medium, das einmal eingeführt wurde und sich bewährte, von anderen vollkommen ersetzt oder verdrängt wird. Das zeigt sich auch bei jenem Medium, das die CD dereinst verdrängte: Vinyl führte seither ein Schattendasein – jedoch mit mittlerweile steigender Beliebtheit. In Europa werden heute jährlich wieder rund 15 Millionen Schallplatten gefertigt. Der weltweite Verkauf stieg im Jahr 2008 gegenüber dem Vorjahr um 89 Prozent. Viele Bands veröffentlichen ihre Musik wieder auf Platte, auch, weil das irgendwie cool wirkt. Unter diesem Aspekt hat die CD also Zukunft – in der Nische.