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Im Kleinformat das Klima retten? #

Mini-Atomkraftwerke sollen sicherer, billiger und klimafreundlich sein. Doch es gibt große Zweifel daran.#


Von der Wiener Zeitung (22. Jänner 2022) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Michael Ortner


"Small Modular Reactors "sind kleine Kernkraftwerke mit einer Leistung bis etwa 250-300 Megawatt. Sie sollen in Serie produziert werden. Weltweit gibt es derzeit 66 Projekte.

Klimaretter Kernenergie? Mini-Kernkraftwerke sollen in Serie produziert werden. Kritiker halten das für wirtschaftlich nicht rentabel.
Klimaretter Kernenergie? Mini-Kernkraftwerke sollen in Serie produziert werden. Kritiker halten das für wirtschaftlich nicht rentabel.
Foto: https://pixabay.com, unter PD

Zehn Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima liegt Atomkraft wieder voll im Trend. Ihr negatives Image hat sie scheinbar abgeschüttelt. Die Kernkraft segelt nun unter der Flagge der Klimarettung. Kohle und Gaskraftwerke stoßen schmutziges CO2 aus. Atomkraftwerke verursachen im Betrieb (nahezu) keine Treibhausgas-Emissionen. Im Gegensatz zu Windrädern und Solarmodulen, die wetterabhängig sind, lassen sich Reaktoren besser steuern. Nur mithilfe der Kernenergie seien die EU-Klimaziele zu erreichen, so das Credo der Befürworter.

Rückenwind bekommt die Atomindustrie aus der Politik. Die EU-Kommission hat einen heftig umstrittenen Entwurf vorgelegt, nach der Atomkraft künftig als "grüne" Energie eingestuft und in die sogenannte Taxonomie aufgenommen werden soll. Das Regelwerk gilt als Richtschnur für private Investoren, was förderwürdig im Sinne der Nachhaltigkeit ist. Kritiker fürchten nun, dass Milliarden in die Kernkraft statt in den Ausbau von Windrädern und Solarmodulen fließen. Österreich will gegen den EU-Beschluss klagen - die "Wiener Zeitung" berichtete.

Kleine Atomkraftwerke, sogenannte "Small Modular Reactors" (SMR), sollen der Atomkraft nun neue Strahlkraft verleihen. Die Mini-Reaktoren setzen sich aus einzelnen Modulen zusammen, die in einer Fabrik in großer Stückzahl produziert werden sollen. Am Einsatzort sollen sie dann schnell zusammengesetzt werden. Unternehmen, die SMR entwickeln, versprechen deshalb kürzere Bauzeiten und größere Flexibilität.

Das Versprechen kommt offenbar gut an. Staaten investieren Milliarden in die Entwicklung dieser neuen Mini-Reaktoren. Laut Internationaler Atomenergie-Organisation gibt es derzeit 66 SMR-Projekte weltweit. Manche sind weit fortgeschritten. In den USA, Großbritannien und China gibt es bereits konkrete Baupläne. In Betrieb sind derzeit aber lediglich zwei Mini-Reaktoren. Auf einem Schiff im russischen Nordpolarmeer schwimmend versorgen sie eine abgelegene Region mit Energie.

Noch keine Serienproduktion#

Mit klein ist aber in erster Linie die elektrische Leistung der Reaktoren gemeint. Sie reicht von 1,5 bis 300 Megawatt. Ein Bruchteil also eines herkömmlichen Atomkraftwerks mit rund 1300 Megawatt Leistung. "Für die Versorgung eines Landes sind große AKW notwendig. Die Kleinen können in entlegenen Gegenden, im Bergbau oder in Industrieanlagen eingesetzt werden", sagt Helmuth Böck, ehemaliger Leiter des Atominstituts der TU Wien.

In Europa ist neben dem französischen Energiekonzern Électricité de France der britische Rolls-Royce-Konzern federführend bei der Entwicklung von Small Modular Reactors. Im Werbe-Rendering erinnert nichts mehr an die hässlichen grauen Betonklötze früherer Atommeiler. Rolls-Royce verpackt seine SMR in eine raupenförmige Halle, die wie ein futuristisches Opernhaus auf der grünen Wiese steht. "Saubere Energie zu niedrigen Kosten", wirbt Rolls-Royce.

Den Kritikern der Atomkraft mangelt es jedoch nicht an Gegenargumenten. Kernenergie ist im Vergleich zu Wind- und Sonnenenergie teuer, der Bau neuer Kraftwerke dauert Jahre, die Baukosten explodieren. Atomkraft sei grundsätzlich nicht wirtschaftlich, so der Hauptkritikpunkt. Während des Betriebs gibt es zahlreiche Sicherheitsrisiken. Zudem weiß man bis heute nicht, wo man den strahlenden Müll lagern soll.

Kernkraftwerke zu errichten verschlingt Unsummen an Geld, im Schnitt zwischen 12 und 14 Milliarden Euro. Ohne staatliche Förderungen sind diese Großprojekte nicht rentabel. Die Small Modular Reactors sollen hingegen günstiger sein, weil sie in Serie produziert werden sollen. Doch bis jetzt existiert diese nur auf dem Papier. "Die Befürworter tun so, als gäbe es die SMR schon", sagt Christian Reinhold, Geschäftsführer des Forum Wissenschaft und Umwelt. Im Auftrag der Stadt Wien hat er mit zwei Kollegen eine Studie zur "Ökonomie der Small Modular Reactors" erstellt. Das Fazit: Diese Anlangen seien teurer als sie beworben werden, das Risiko sei keinesfalls geringer.

Erneuerbare Energien wie Photovoltaik und Windkraft haben Kernenergie längst überholt. Laut einer US-Studie kostet Kernenergie 163 Dollar pro Megawattstunde (MWh). Die Kosten von Wind und Sonne liegen bei 37 Dollar pro MWh. "Es ist der Versuch, eine Retrotechnik noch mal zur Renaissance zu führen", kritisiert der Physiker Reinhold. In der Studie heißt es abschließend: "Insgesamt spricht nicht viel dafür, dass SMR-Konzepte wirtschaftliche konkurrenzfähig werden."

Geringe elektrische Leistung#

Von der Serienproduktion ist man noch weit entfernt. Doch selbst wenn dies gelänge, wären laut einem Gutachten des deutschen Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) mehrere tausend SMR nötig, um dieselbe elektrische Leistung der aktuell rund 400 Kernreaktoren weltweit zu erreichen.

Apropos Sicherheit. Seit den Reaktorkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima schwebt die Gefahr eines Nuklearunfalls wie ein Damoklesschwert über der Atomkraft. Immer wieder kommt es zu Störfällen, Kernkraftwerke müssen zwischendurch abgeschaltet werden. Gefahr droht nicht nur von innen. Kernkraftwerke sind zudem potenzielle Ziele für Terroristen. Wie gewährleistet man die Sicherheit vieler kleiner Reaktoren?

Geringere Größe, kleineres Sicherheitsrisiko, so die einfache Rechnung der Entwickler. Das BASE sieht grundsätzlich "potenziell sicherheitstechnische Vorteile", da allein die Menge an radioaktiven Brennstäben geringer ist. Allerdings erhöhe die große Anzahl an Reaktoren das Risiko wiederum um ein Vielfaches, schreibt die Behörde in ihrem Gutachten weiter. "Durch die niedrigere Leistung können SMR durch sogenannte inhärente Maßnahmen im Störfall gekühlt werden. Das heißt, bei einem Ausfall der gesamten Stromversorgung wie in Fukushima erfolgt dann die Kühlung durch Naturzirkulation oder Gravitation", sagt der Nuklearexperte Böck. Aufgrund der geringen Leistung sei auch keine Kernschmelze möglich.

Erneuerbare kompensieren#

Bleibt die Frage, ob Europa wirklich Atomkraft braucht, um die Emissionen zu reduzieren? Derzeit liefern Kernkraftwerke ein Viertel des europäischen Stroms. Am gesamten Energiebedarf macht Strom aber nur 15 Prozent aus. Der Großteil des Energieverbrauchs geht auf das Konto von Wärme und Mobilität.

In Deutschland wurden 2021 drei AKW vom Netz genommen, die letzten verbliebenen drei Kernkraftwerke sollen heuer abgeschaltet werden. Es fehlen also gewisse Strommengen. In der Vergangenheit haben erneuerbare Energien den Anteil der Kernenergie mehr als überkompensiert, sagt die Energieökonomin Claudia Kemfert zum deutschen Fernsehsender ZDF.

Ob sich Mini-Atomkraftwerke durchsetzen werden, ist noch unklar. Neben der Finanzierung sind auch noch zahlreiche regulatorische Fragen zu klären. Und nicht zuletzt produzieren auch die kleinen Atomkraftwerke radioaktiven Abfall, der sicher für Jahrhunderte verschlossen und gelagert werden muss.

Wiener Zeitung, 22. Jänner 2022

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