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2. Bekräftigung eines humanistischen Ansatzes 49
" Die Transformation der Bildungslandschaft
Die Bildungslandschaft erfährt heute radikale Veränderungen bezüglich ihrer Methoden,
Inhalte und Räume des Lernens. Dies gilt für die Schule ebenso wie für den Hochschulbereich.
Die grössere Verfügbarkeit von Wissen und der Zugang zu verschiedensten Quellen er-
weitern die Möglichkeiten des Lernens, die auch weniger strukturiert und innovativer
sein können. Das hat Folgen für die Unterrichtsräume, die Pädagogik, die Autorität der
Lehrkräfte wie auch die Lernprozesse.
Die gegenwärtige Transformation der Lernlandschaft ist bedeutungsmässig mit der his
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torischen Wende vom traditionellen, vorindustriellen Bildungsmodell zu dem im neun-
zehnten Jahrhundert initiierten Fabrikmodell verglichen worden. Gemäss dem traditionellen,
vorindustriellen Modell stammte das meiste dessen, was die Menschen lernten, aus
ihren Alltagsbeschäftigungen und ihrer Arbeit. Im Gegensatz dazu setzte das Modell der
Massenbildung, das der industriellen Revolution entsprang, Lernen – fast ausschliesslich –
mit Schulbildung gleich. Das Schulbildungsmodell assoziiert überdies weiterhin Lernen im
Wesentlichen mit Schulunterricht, obwohl in Tat und Wahrheit ein Grossteil des Lernens
(selbst in traditionellen Bildungssettings) zu Hause und an anderen Orten stattfindet. Trotz-
dem bleibt der physische Unterrichtsraum, der als Hauptort des Lernens definiert ist, auf
allen Stufen des Lernens als zentrales Merkmal formaler Bildungssysteme bestehen.70
Hat die Schule wirklich ausgedient?
Es gibt Leute, die behaupten, das Schulmodell habe im digitalen Zeitalter wegen
der Möglichkeiten des E-Learnings, des mobilen Lernens und anderer digitaler
Technologien keine Zukunft. In diesem Zusammenhang wäre es interessant, die
Deschooling-Debatten der 1960er- und 1970er-Jahre wieder aufzugreifen, namentlich
die Arbeiten von Paul Good man71 und Ivan Illich.72 Es stimmt, dass das bisherige
industrielle Schulbildungsmodell darauf ausgelegt war, den Produktionsbedürfnissen
vor mehr als hundert Jahren zu ent sprechen. Auch haben sich die Formen des
Lernens in den letzten zwanzig Jahren drastisch verändert, und das Gleiche gilt
auch für die Quellen des Wissens ebenso wie die Art, wie wir es austauschen
und damit interagieren. Auch stimmt es, dass sich die formalen Bildungssysteme
nur langsam verändert haben und eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit den
Systemen der letzten zweihundert Jahre aufweisen.73 Und doch ist die Schule so
wichtig, wie sie es immer schon war. Sie ist der erste Schritt des institutionalisierten
Lernens und der Sozialisation ausserhalb der Familie, und sie ist ein wesentlicher
Bestandteil des sozialen Lernens: Lernen für das Leben und Lernen, zusammenzuleben.
Das Lernen sollte dabei kein rein individueller Prozess sein. Als soziale Erfahrung erfordert
70 Frey, T. 2010. The future of education. FuturistSpeaker. www.futuristspeaker.com/2007/03/the-future-of-
education [Abfrage Februar 2015].
71 Goodman, P. 1971. Compulsory Miseducation. Harmandsworth, UK, Penguin Books.
72 Illich, I. 1973. Deschooling Society. Harmandsworth, UK, Penguin Books.
73 Davidson, C.N. und Goldberg, D.T. mit Jones, Z.M. 2009. The Future of Learning Institutions in the Digital
Age. Cambridge, MA, MIT Press (MacArthur Foundation Report on Digital media and Learning).
Bildung überdenken
Ein globales Gemeingut?
- Titel
- Bildung überdenken
- Untertitel
- Ein globales Gemeingut?
- Herausgeber
- Schweizerische UNESCO-Kommission
- Deutsche UNESCO-Kommission
- Österreichische UNESCO-Kommission
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 3.0
- ISBN
- 978-3-033-05613-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 96
- Kategorie
- Geisteswissenschaften