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Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990
visorischen gesamtstaatlichen Regierung unter Karl Renner,34 zu freien Wah-
len am 25. November 1945 und zum Zweiten Alliierten Kontrollabkommen vom
28. Juni 1946, das die Vetorechte der Okkupanten reduzierte. Dieses erlaubte
auf außenpolitischem Gebiet die Aufnahme offizieller Beziehungen, jedoch nur
zu Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, denen sowohl die Bundesrepublik
Deutschland als auch die DDR erst 1973 beitreten konnten.
Des Weiteren erfolgte keine Zwangsvereinigung der Kommunistischen Par-
tei Österreichs (KPÖ) und der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ), wie sie
1946 zwischen der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der Sozial-
demokratischen Partei Deutschlands (SPD) in der Sowjetischen Besatzungszone
Deutschlands (SBZ) vollzogen wurde und deren Resultat die Sozialistische Ein-
heitspartei Deutschlands (SED) war. Österreich erhielt als Ganzes mit seiner so-
wjetischen Besatzungszone finanzielle Mittel aus dem Marshall-Plan. Während
die UdSSR eine Teilnahme der deutschen SBZ an diesem ausgeschlossen hatte,
flossen Mittel des European Recovery Program (ERP) unter sowjetischer Duldung
auch in ihre österreichische Zone.35 Ökonomisch zog Österreich zunächst nicht
nur aus den Vorteilen der Handelsliberalisierung beim Export großen Nutzen,
sondern auch aus quantitativen Restriktionen für den gesamten Warenimport
aus den ERP-Teilnehmerländern. Das Land war von Anfang an Netto-Schuldner
unter den ERP-Ländern, während schon die anglo-amerikanische Bizone in den
Jahren ab 1947 bzw. die Bundesrepublik Deutschland ab ihrer Gründung mit Ver-
kündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 Netto-Gläubiger der übrigen west-
europäischen Staaten waren.36
Österreich erhielt insgesamt Zahlungen in der Höhe von über einer Milliarde
Dollar von den USA. Das Land hatte damit vom Marshall-Plan stark profitiert. Es
konnte im Vergleich zu anderen ERP-Teilnehmerländern sowohl seine Produk-
tion, als auch den Lebensstandard beträchtlich steigern. Österreich erhielt mit
130 Dollar neben Norwegen die zweithöchste Pro-Kopf-Rate von allen ERP-Emp-
fängerstaaten – Island bekam mit 209 Dollar die höchste Quote, die deutschen
Westzonen bzw. die Bundesrepublik erhielten im Unterschied dazu lediglich
34 Reinhard Bollmus, Staatliche Einheit trotz Zonentrennung. Zur Politik des Staatskanzlers
Karl Renner gegenüber den Besatzungsmächten in Österreich im Jahre 1945, in: Ulrich Engel-
hardt / Volker Sellin / Horst Stuke (Hg.), Soziale Bewegung und politische Verfassung. Beiträge
zur Geschichte der modernen Welt (= Industrielle Welt, Schriftenreihe des Arbeitskreises für
moderne Sozialgeschichte, Sonderband), Stuttgart 1976, S. 677–712.
35 Siehe dazu: Wolfgang Mueller, Sowjetische Deutschland- und Österreichpolitik 1941 bis 1955
im Vergleich: Die Frage der staatlichen Einheit und des Friedensvertrages, in: Michael Geh-
ler / Ingrid Böhler (Hg.), Verschiedene europäische Wege im Vergleich. Österreich und die
Bundesrepublik Deutschland 1945/49 bis zur Gegenwart. Festschrift für Rolf Steininger zum
65. Geburtstag, Innsbruck / Wien / Bozen 2007, S. 123–154.
36 Alan S. Milward, The Reconstruction of Western Europe 1945–51, London 1984, Berkeley / Los
Angeles ²1986, S. 18, 103 (Table), 177, 205–206, 332, 354 (Table), 360–361 und 422; Werner
Abelshauser, Wirtschaft in Westdeutschland 1945–1948, Stuttgart 1975; idem, Hilfe und
Selbsthilfe. Zur Funktion des Marshallplans beim westdeutschen Wiederaufbau, in: Viertel-
jahrshefte für Zeitgeschichte 37 (1989) 1, S. 85–113.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99