Seite - 16 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990
enthaltenen Einschränkungen)49 seine volle Souveränität zurückerhalten und das
Neutralitätsgesetz beschlossen. Die sogenannte Souveränität der DDR war da-
gegen durch die Sowjetunion in einem Freundschaftsvertrag bekräftigt worden
und nicht zuletzt wurde während des Besuchs Adenauers in Moskau die Auf-
nahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundes-
republik vereinbart.50 In Moskau saßen von nun an ein ost- und ein westdeutscher
Botschafter. Angesichts dieser veränderten Lage, wurde es in Bonn nunmehr auch
für nötig erachtet, durch die Formulierung der sogenannten „Hallstein-Doktrin“
zu betonen, aufgrund des verfassungsrechtlich legitimierten bundesdeutschen
Alleinvertretungsanspruchs für ganz Deutschland zu sprechen. Die Hallstein-
Doktrin wurde nach dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Walter Hallstein,
benannt, ging aber auf den Hofjuristen und Völkerrechtler Wilhelm Georg Grewe
zurück, der im NS-Staat seine Karriere gemacht hatte. Diese drohte jedem Staat,
der die DDR anerkennen würde, den Abbruch der bilateralen Beziehungen durch
49 Österreich auferlegte Bedingungen und Souveränitätseinschränkungen betrafen das Abliefe-
rungs- und Ablösungsgebot des deutschen Eigentums bzw. das Rückstellungsverbot an frü-
here deutsche Eigentümer, das Anschlussverbot, d. h. keine politische oder wirtschaftliche
Vereinigung mit Deutschland (Artikel 4), die Gewährleistung von Minderheitenrechten für
die slowenische und kroatische Bevölkerungsgruppe in Österreich (Artikel 7, Absatz 2 und 3);
das Verbot aller nationalsozialistischen Organisationen und die Unterlassung von Wiederbe-
tätigung faschistischer oder nationalsozialistischer Organisationen (Artikel 9 und 10); die
Fortführung der [Anti-]Habsburgergesetzgebung (Artikel 10) sowie militärische und Luft-
fahrtbestimmungen (Artikel 12–16), u. a. die Nichtaufnahme von Personen in das österrei-
chische Bundesheer, die in der Deutschen Wehrmacht im Rang eines Obersts oder höherran-
gig gedient hatten bzw. als nachweisbar nicht-entlastete Nationalsozialisten galten (Artikel 12)
sowie ein Nicht-Mitwirkungsgebot an der „Wiederbewaffnung“ Deutschlands (Artikel 15, Zu-
satz 2). Aufgrund der veränderten politischen Verhältnisse 1989/90 hatte die österreichische
Bundesregierung in einer Erklärung vom 20. November 1990 an die vier Signatare des Staats-
vertrages (Frankreich, UdSSR, USA, Vereinigtes Königreich) die militärischen und Luftfahrt-
bestimmungen (Art. 12–16) für obsolet erklärt. Die Artikel 12 und 15 Zusatz 2 wurden zudem
im Jahre 2008 als nicht mehr geltend festgestellt, siehe zum Gesamtkomplex: Gerald Stourzh,
Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung
Österreichs 1945–1955, 4. aktualisierte Auflage, Wien / Köln / Weimar 2005.
50 Zu Adenauers Moskau-Besuch siehe: Helmut Altrichter (Hg.), Adenauers Moskaubesuch
1955. Eine Reise im internationalen Kontext (Rhöndorfer Gespräche 22), Bonn 2007; Wer-
ner Kilian, Adenauers Reise nach Moskau, Freiburg im Breisgau 2005. Zu den sowjetischen
Motiven siehe Gerhard Wettig, Sowjetische Deutschland-Politik 1953 bis 1958. Korrektu-
ren an Stalins Erbe, Chruschtschows Aufstieg und der Weg zum Berlin-Ultimatum (Quellen
und Darstellungen zur Zeitgeschichte 82), München 2011, S. 49–58. Zuletzt Hanns Jürgen
Küsters / Faina Nowik, Der Besuch Konrad Adenauers in Moskau 1955, in: Helmut Altrich-
ter / Wiktor Ischtschenko / Horst Möller / Alexander Tschubarjan (Hg.), Deutschland – Russ-
land. Stationen gemeinsamer Geschichte, Orte der Erinnerung – Das 20. Jahrhundert, Mün-
chen 2014, S. 227–236; eingehend zum Moskau-Besuch Adenauers auch aus österreichischer
Sicht: Michael Gehler, Modellfall für Deutschland? Die Österreichlösung mit Staatsvertrag
und Neutralität 1945–1955, Innsbruck / Wien / Bozen 2015, S. 988–1027.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99