Seite - 18 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990
vertrag jedenfalls als „erfolgversprechende Variante zur Lösung der Deutschland-
frage“ gepriesen. Dies geschah nicht nur aus Gründen der propagandistischen
Unterstützung der sowjetischen Politik, sondern auch, da man – auch wenn es
keinen direkten Beweis für die Annahme gibt – die Hoffnung in Berufung auf
den Neutralitätsstatus Österreichs als begründet ansah, von Österreich analog
zu Finnland einen gleichberechtigten Status zur Bundesrepublik eingeräumt zu
bekommen.56
Zu Beginn dieser Einleitung wurden die – trotz Parallelen – grundverschie-
denen Ausgangsbedingungen und Entwicklungen in Österreich und Deutsch-
land nach dem Zweiten Weltkrieg umrissen. 1949 wurde die deutsche Teilung
formalisiert. Trotz fortdauernder Besatzung zeigte sich rasch, zu welchem deut-
schen Staat Österreich Beziehungen anstrebte und wessen Haltung in der deut-
schen Frage es unterstützte. Manifest wurde dies 1955, als Österreich nach dem
Abschluss des Staatsvertrags und trotz eines angespannten Verhältnisses diplo-
matische Beziehungen mit der Bundesrepublik etablierte, während der DDR die
diplomatische Anerkennung bis 1972 verweigert wurde. Österreich nahm das
als Hallstein-Doktrin bezeichnete Dogma der westdeutschen Politik zur Kennt-
nis
– auch wenn dies zeitweise einzelnen österreichischen Interessen widersprach.
In manchen Fällen wurden die engen Grenzen des westdeutschen Alleinvertre-
tungsanspruchs auch nur widerwillig eingehalten. Der Neutrale handelte hier re-
alpolitisch und dies galt auch für die Sowjetunion, der Anerkennungsdruck von
östlicher Seite hinsichtlich der DDR hielt sich in Grenzen. Die Bundesrepublik
Berlin 1994; Gerhard Wettig, Bereitschaft zu Einheit in Freiheit? Die sowjetische Deutschland-
Politik 1945–1955, München 1999; Peter Ruggenthaler, Stalins großer Bluff. Die Geschichte
der Stalin-Note in Dokumenten der sowjetischen Führung, München 2007; Wilfried Loth,
Die Sowjetunion und die deutsche Frage. Studien zur sowjetischen Deutschlandpolitik von
Stalin bis Chruschtschow, Göttingen 2007; für eine ausgewogene Besprechung der jüngeren
Forschungsliteratur bis 2008 siehe Bernd Bonwetsch, Die Stalin-Note 1952
– kein Ende der De-
batte, in: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung 2008, S. 106–113. Dem Titel von
Bonwetsch entsprechend, seither wiederum Wilfried Loth, The Crucial Issues of the Early Cold
War. The German question from Stalin to Khrushchev: The meaning of new documents, in:
Cold War History 10 (2010) 2, S. 229–245; und Wettig (Hg.), Der Tjul’panov-Bericht, S. 13–138;
idem, Die Stalin-Note. Historische Kontroversen im Spiegel der Quellen (Diktatur und Demo-
kratie im 20. Jahrhundert 1), Berlin 2015; sowie Peter Ruggenthaler: Neutrality for Germany or
stabilization of the Eastern bloc? New evidence on the decision-making process of the Stalin
Note, in: Mark Kramer / Vít Smetana (Hg.) Imposing, maintaining, and Tearing Open the Iron
Curtain. The Cold War and East-Central Europe, 1945–1989, Lanham 2014, S. 149–169. Zur
Position Michael Gehlers siehe ausführlich: Modellfall für Deutschland?; und zuletzt: ders.,
Form an Offer for all Cases to a Model Case? Aspects of the Controversy about the Soviets’
Germany, Austria, and Neutrality Policy, 1952–1955, in Current and Recent Research, in:
Heinz Gärtner (Hg.), Engaged Neutrality. An Evolved Approach to the Cold War, Lanham
2017, S. 37–71. Darin auch eine ausführliche Bibliografie der jüngeren Forschungsliteratur.
56 Dazu mit leicht abweichenden Bewertungen: Stourzh, Um Einheit und Freiheit, 478–480;
Gehler, Modellfall für Deutschland?, S. 719–737; Graf, Österreich und die DDR, S. 98–108.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99