Seite - 29 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990
dem Staatsvertrag, der eine vertragliche Verbindung Österreichs mit der Bundes-
republik untersagte, zuwiderlaufend
– ein Standpunkt der bis in die letzten Jahre
des Kalten Krieges unverändert blieb. Daher konnte Bonn als stärkste Handels-
und Wirtschaftsmacht in der EWG die österreichischen Ziele nur sehr vorsichtig
unterstützen. Die angestrebte Assoziierung scheiterte aber weder an der aufgrund
des französischen Vetos gegen einen Beitritt Großbritanniens zu dieser Zeit reser-
vierten Aufnahmebereitschaft der EWG oder der eindeutig ablehnenden Haltung
der Sowjetunion, sondern an einer italienischen „Totalblockade“, die sich von 1967
bis 1969 aufgrund der nach Bombenanschlägen zugespitzten Lage im Südtirol-
Konflikt in einem Veto gegen EWG-Verhandlungen mit Österreich manifestierte.
Hier konnte und wollte auch die Bundesrepublik als NATO-Partner Italiens nicht
erfolgreich vermittelnd eingreifen. Erst nachdem der Südtirol-Konflikt mit Italien
1969 durch „Paket“ und „Operationskalender“ einer für beide Seiten akzeptablen
bilateralen Lösung zugeführt werden konnte und Charles de Gaulle aus der Poli-
tik ausgeschieden war, konnte Österreich sein Ziel einer formellen Beziehung zur
EWG erreichen.92 1972 wurden Zoll- und Handelsverträge geschlossen.93 Diese
blieben mit Blick auf die Tiefe der Integration jedoch hinter den Bestrebungen der
1960er-Jahre deutlich zurück, brachten aber die lange angestrebte handelspoli-
tisch intensivere Bindung hinsichtlich industriell-gewerblicher Produkte an den
EWG-Raum, gleichwohl landwirtschaftliche Güter davon ausgenommen waren.94
Eine aktive Teilhabe des Gründungsmitglieds der European Free Trade Associa-
tion (EFTA) an der westeuropäischen Integration wurde erst mit dem Ende des
Kalten Krieges möglich, wie weiter unten zu zeigen sein wird.
Aufgrund der veränderten internationalen Lage Anfang der 1970er-Jahre, zu
der die „neue Ostpolitik“ der Bundesrepublik einen bedeutenden Beitrag geleis-
tet hatte, konnte nun auch das Verhältnis der beiden deutschen Staaten geregelt
werden. Österreich begrüßte die westdeutsche „neue Ostpolitik“ obwohl diese
von Diplomaten insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht auch in Konkurrenz
92 Michael Gehler, Österreichs Weg in die Europäische Union, Innsbruck / Wien / Bozen 2009,
S. 58–80; zur sowjetischen Position siehe: Mueller, Example, S. 133–174. Zur Südtirolfrage
siehe Michael Gehler, Kursaal von Meran am 22./23.11.1969: Die Paketentscheidung vor
40 Jahren. Analyse und Bilanz einer Weichenstellung der Geschichte Südtirols, in: Andreas
Khol / Günther Ofner / Stefan Karner / Dietmar Halper (Hg.), Österreichisches Jahrbuch für
Politik 2009, Wien / Köln / Weimar 2010, S. 417–425; idem, Von St. Germain bis zum „Paket“
und „Operationskalender“: Der 50jährige steinige Weg zur Autonomielösung der Südtirol-
frage 1919–1969, in: Melani Barlai / Christina Griessler / Richard Lein (Hg.), Südtirol. Vergan-
genheit – Gegenwart – Zukunft (Andrássy Studien zur Europaforschung 17), Baden-Baden
2014, S. 13–48.
93 Michael Gehler, From Multilateral to Bilateral Free Trade: Austria’s Bridging the Gap and the
Failure of „Going-It-Alone“ to Brussels 1955–1972, in: The Journal of European Economic
History 33 (2004) 1, S. 127–178.
94 Zum Inhalt der Abkommen mit EWG und EGKS 1972 siehe: Michael Gehler, Vom Marshall-
Plan zur EU. Österreich und die europäische Integration von 1945 bis zur Gegenwart, Inns-
bruck / Wien / Bozen 2006, S. 137–142.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99