Seite - 52 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990
solche Mitarbeit seiner Auffassung nach „für alle Teile nützlich erscheinen“.
Kreisky bat daher Schmidt „Österreich die Gelegenheit zu geben, die für beide
Seiten sich ergebenden Fragen zu prüfen, wobei Form und Vorgangsweise nach
beidseitigem Interesse abgestimmt werden“ sollten.194
Der deutsche Bundeskanzler reagierte positiv. Kreiskys Hinweise auf die geo-
graphische Lage und die engen wirtschaftlichen Verflechtungen Österreichs mit
der EG und die Nützlichkeit einer möglichen Mitarbeit Österreichs „für alle Teile“
wurden von Schmidt „voll geteilt“. Im Interesse der beiderseitigen Wirtschafts-
beziehungen begrüßte er es sehr, wenn sich Österreichs Regierung zu einer Zu-
sammenarbeit mit dem neuen System entschließen könnte. Schmidt hatte Kreis-
kys Schreiben sofort Finanzminister Hans Matthöfer sowie dem Präsidenten der
Deutschen Bundesbank Otmar Emminger zur Kenntnis gebracht. Gleichzeitig
hatte Schmidt Matthöfer gebeten, „sich möglichst bald mit Herrn Finanzminis-
ter [Hannes] Androsch in Verbindung zu setzen, um die Probleme zu erörtern,
die mit einer Mitarbeit Österreichs an dem System verbunden sind“. Schmidt
hegte die Hoffnung, „daß diese Gespräche bald abgeschlossen werden können
und auch die anschließenden Verhandlungen zwischen den Notenbanken erfolg-
reich verlaufen“.195
Damit war auf höchster politischer Ebene zwischen der Bundesrepublik und
Österreich bereits im Dezember 1978 Einverständnis über eine Einbindung des
österreichischen Schilling in das EWS und eine zukünftige Kooperation mit dem-
selben erzielt worden. Die Fühlungnahme Kreiskys verlief jenseits der öffent-
lichen Wahrnehmung. Sie führte letztlich nach Klärung der technischen Fragen
zu einer weitgehenden EWS-Mitwirkung Österreichs, welches aufgrund seiner
Schilling-Währung und deren enger Anlehnung, ja Anbindung an die D-Mark
implizit in das EWS eingeführt werden sollte und die entsprechenden Schritte um-
setzte. Österreich war damit stiller Teilnehmer der westeuropäischen Währungs-
integration. Bei allen Vorteilen der Währungsstabilität und Währungssicherheit:
Damit war währungspolitisch bereits ein gewisses Maß an Souveränität an das
integrierte Europa abgetreten worden, was auch Kreisky wusste.196
Nach der Ära Kreisky (1970–1983) war in Österreich eine Koalition aus SPÖ
und der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) gebildet worden. 1985 begann
sich das Bild des Landes in der Welt gehörig zu ändern, auch wenn dies zunächst
in einem kleineren Rahmen begann. Anfang des Jahres 1985 ereignete sich die
„Reder-Frischenschlager-Affäre“, als der österreichische Verteidigungsminister
Friedhelm Frischenschlager (FPÖ) den ehemaligen SS-Major Walter Reder bei
194 Der Bundeskanzler der Republik Österreich, Bruno Kreisky, an den Bundeskanzler der
Bundesrepublik Deutschland, Helmut Schmidt, 12.12.1978, Archiv der sozialen Demokratie
der Friedrich-Ebert-Stiftung (AdSD), Bonn, Bestand Helmut Schmidt, Mappe 6604.
195 Bundeskanzler Helmut Schmidt an Bundeskanzler Bruno Kreisky, 20.12.1978. AdSD, Be-
stand Helmut Schmidt, Mappe 6604.
196 Michael Gehler, Bruno Kreisky, European Integration, the German Issue and Transnational
Socialist Party Cooperation, in: Johnny Laursen (Hg.), The Institutions and Dynamics of the
European Community, 1973–83, Baden-Baden 2014, S. 243–273, hier S. 261–267.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99