Seite - 53 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990
seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft in Italien per Handschlag be-
grüßte.197 Im Sommer 1985 wurde der „Weinskandal“, die Verseuchung öster-
reichischen Weins mit Diethylenglykol, aufgedeckt.198 Ende des Jahres wurde
die mit milliardenschweren Verlusten behaftete „VÖEST-Krise“, die einen ihrer
Ursprünge in den DDR-Geschäften hatte, publik. Mit der „Affäre Waldheim“ ab
1986 war der internationale Ruf Österreichs definitiv schwer beschädigt.199
In den Jahren 1986–1988 wurde heftig über Österreichs Bundespräsidenten
Kurt Waldheim debattiert. Auslöser war dessen Umgang mit seiner Kriegs-
vergangenheit als Wehrmachtsoffizier am Balkan, wo sich Kriegsverbrechen er-
eignet hatten. Als Aufdecker, Enthüller und Skandalisierer fungierten das Nach-
richtenmagazin profil und der World Jewish Congreß (WJC) sowie Teile des
SPÖ-Führungsumfelds und internationale Medien. Die politische Affäre wirkte
über die Grenzen des Landes hinaus und das internationale Echo stark zurück.
Österreich musste sich mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzen. Waldheim
wurde von den USA auf die watch list gesetzt, was einem Einreiseverbot als Privat-
person und damit auch als Bundespräsident gleichkam. Sonderbotschafter (Karl
Gruber, Fritz Molden und Hans Reichmann) waren im Einsatz und eine inter-
nationale Historikerkommission urteilte kritisch über Waldheim, konnte aber
keine Kriegsverbrechen feststellen, gleichwohl aber eine spezifische Mitwisser-
schaft und Unterlassungen nachweisen.200
Die Wahl Waldheims zum Bundespräsidenten, die viel mehr wegen der an-
haltenden internationalen Kritik an seiner Person als trotz dieser erfolgte, führte
zum Rücktritt von Bundeskanzler Fred Sinowatz. Ihm folgte Franz Vranitzky als
Regierungschef nach. Nur wenige Wochen später am 13. September 1986 wurde
Jörg Haider auf dem Innsbrucker Parteitag der FPÖ in einer Kampfabstimmung
zum neuen Parteiobmann gewählt. Dies bedeutete eine Abkehr vom liberale-
ren Kurs Norbert Stegers und eine Stärkung des rechten Flügels der Partei. Für
Vranitzky war eine solche Wandlung der FPÖ inakzeptabel und er beendete die
Koalition. Trotz schlechter Umfragewerte riskierte er Neuwahlen, die bereits am
23. November 1986 stattfanden. Diese brachten der SPÖ zwar erhebliche Verluste,
es gelang aber, die ÖVP auf Distanz zu halten. Die FPÖ hatte mit einem populis-
197 Barbara Tóth, Der Handschlag. Die Affäre Frischenschlager – Reder, Innsbruck / Wien 2017.
198 Jakob Perschy, Der Weinskandal – Ein Desaster mit exzellenten Ergebnissen, in: Burgen-
ländisches Landesarchiv (Hg.), 9 Jahrzehnte
– 9 Themen. Eine Nachlese zu 90 Jahre Burgen-
land (Burgenländische Forschungen 103), Eisenstadt 2012, 143–146; Sebastian Pumberger, Na
dann: Prost! (Agenda: Weinskandal), in: Der Standard, 4./5./6. April 2015, S. 4–5.
199 Barbara Tóth / Hubertus Czernin (Hg.), 1986. Das Jahr, das Österreich veränderte, Wien 2006;
Michael Gehler, „… eine grotesk überzogene Dämonisierung eines Mannes …“. Die Wald-
heim-Affäre 1986–1992, in: ders. / Hubert Sickinger (Hg.), Politische Affären und Skandale
in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim, Thaur / Wien / München 1995, 2. Auflage: 1996,
Nachdruck: Innsbruck / Wien / Bozen 2008, S. 614–665.
200 Zuletzt Michael Gehler, Die Affäre Waldheim. Eine Fallstudie zur Instrumentalisierung der
NS-Vergangenheit zur politischen Vorteilsverschaffung 1986–1988, in: Geschichte in Wis-
senschaft und Unterricht 69 (2018) 1/2, S. 67–85.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99