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Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990
Da dies seitens der Bundesrepublik abgelehnt wurde und auch eine Einbezie-
hung Polens in die „Zwei-Plus-Vier“-Gespräche noch nicht feststand, suchte Polen
unter den Nachbarstaaten Deutschlands nach Verbündeten. Am 2. März wandte
sich Außenminister Krzysztof Skubiszewski mit einem Brief an seine Amtskol-
legen, darunter auch Außenminister Mock.340 In diesem führte er neben dem
gewünschten Szenario – hier im Wortlaut des Ballhausplatzes – aus: „Alle Nach-
barstaaten der BRD und der DDR hätten gewisse gemeinsame Interessen und
Rechte, soweit ihre Sicherheit betroffen ist. [Eine] Vereinigung dürfe [die] Sicher-
heit und [die] territoriale Integrität dieser Staaten nicht in Frage stellen.“ Da rauf-
hin betonte er das vitale Interesse Polens an der „Beseitigung jeder Zweideutig-
keit hinsichtlich [der] Oder-Neiße-Grenze“ und erklärte, dass Polen bereit sei, „an
Arbeiten an einem Friedensvertrag teilzunehmen und diesen zu unterzeichnen“.
Die Beteiligung der Nachbarstaaten Deutschlands am „Zwei-plus-Vier“-Prozess
war für ihn „unerläßlich“. Daher ersuchte er um „österreichische Unterstützung
der polnischen Haltung“. Am Ballhausplatz holte man daraufhin die Reaktionen
der anderen angesprochenen Staaten ein und konzipierte ein Antwortschreiben,
in dem die österreichische Position dargelegt wurde: 1) „Österreich tritt traditio-
nell für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes aller Völker ein. Dies
gilt selbstverständlich auch für das deutsche Volk.“ 2) Die Vereinigung müsse aber
jedenfalls demokratisch ablaufen und in den „europäischen Sicherheitprozeß“
eingebettet sein. 3) „Die territoriale Integrität aller europäischen Staaten und da-
dungen und Folgen, Göttingen 2017, S. 599–626; sowie die dem Aufsatz zugrundeliegende
polnische Edition Borodziej (Hg.), Polska wobec zjednoczenia Niemiec 1989–1991.
340 Die Arbeitsübersetzung des Schreibens Skubiszewskis erliegt in: Amtsvermerk, Gesandter
Ernst Sucharipa, Wien, 12. März 1990, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1990, GZ. 22.17.01/58-
II.3/90. Nebst Übermittlung des Wortlauts des Schreibens berichtete die österreichische Bot-
schaft Warschau am 5. März: „Wie bereits mit ha. Berichten 54-Res/90 vom 20.2.1990 und
25020 vom 26.2.1990 ausgeführt, ist die deutsche Vereinigung und im Zusammenhang damit
die Garantie der poln. Westgrenze ein die poln. Regierung, aber, wie aus den hiesigen Me-
dien deutl. ersichtl. ist, auch die gesamte poln. Bevölkerung zutiefst berührendes Problem.
[…] Sämtliche Politiker, auf welcher Seite sie auch stehen, teilen in dieser Frage die Haltung
des Premierministers. Im Gespräch des Unterfertigten mit PM Mazowiecki war dieser sehr
bestimmt und wirkte, wiewohl von Natur aus eher nachdenklichen Charakters, sehr ent-
schlossen. Er machte deutlich, dass die Garantie der poln. Westgrenze und eine Teilnahme
Polens an den Gesprächen der 4 und 2 für ihn kein Streit um einen juristischen Standpunkt,
sondern eine grundsätzliche Frage der Existenz seines Landes sei, die er in seinem Sinn in-
ternational vertreten werde. AM Skubiszewksi sieht das Problem eher mit den Augen eines
Völkerrechtlers, für ihn ist die Klärung der Grenzfrage eine Vorbedingung der deutschen
Einigung. Nach Ansicht des Unterfertigten ist für die Gespräche über die Einigung eine
Teilnehmerformel, die über die 6 hinausgeht, durchaus im Bereich des Möglichen, also auch
eine Einladung sämtlicher Nachbarstaaten der beiden Deutschland. Das Argument, dass die
deutsche Einigung nicht bloss eine Angelegenheit der beiden deutschen Staaten sei, sondern
in Konsultationen und in Abstimmung mit den Nachbarstaaten erfolgen müsse, arbeitet für
Mazowiecki. Von Präsident Mitterrand erhoffen sich Jaruzelski und Mazowiecki massive
Unterstützung und Druck auf Kohl in ihrem Sinne.“ Botschafter Gerhard Wagner an BMAA,
Warschau, 5. März 1990. ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1990, GZ. 22.17.01/55-II.3/90.
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Buch Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit"
Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99