Seite - 83 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990
mit die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen, sowie die Einhaltung aller relevanten Ab-
kommen und Vereinbarungen stehen für Österreich außer Frage.“341
Wien wollte sich in dieser Frage nicht durch offizielle Äußerungen exponieren.
Im Gegenteil mit Blick auf die „Zwei-plus-Vier“-Gespräche wurde intern aus-
drücklich festgehalten: „Österreich kann kein Interesse daran haben, daß von den
‚2+4‘-Staaten über ‚seine Sicherheit in einer frühen Phase der Konferenz als se-
parater Teil diskutiert‘ wird.“342 Kurz nach Fertigstellung des Antwortschreibens
stand für den Ballhausplatz nach dem ersten „Zwei-Plus-Vier“-Beamtentreffen am
14. März 1990 in Bonn343 fest, „daß Polen zur Deutschlandkonferenz ein
geladen
würde, sobald Fragen berührt werden, die mit Polens Grenzen zusammenhän-
gen. Nachdem damit dem polnischen Anliegen Genüge getan zu sein“ schien,
wurde der Brief im Hinblick auf eine ohnehin bevorstehende Begegnung Mocks
mit seinem polnischen Amtskollegen nicht mehr abgesendet. Die in den anderen
Empfangsstaaten eingeholten Informationen auf das Schreiben Skubiszewskis
zeigten: „Allgemein spiegelt sich die österreichische Haltung auch in den Reak-
tionen der anderen betroffenen Regierungen wider. Unterschiede ergeben sich
lediglich hinsichtlich der Betonung der Notwendigkeit, Polen in die Deutschland-
gespräche (2+4) einzubinden.“ Dänemark und die Schweiz hatten sich wie Öster-
reich nicht „zur allfälligen Form der Einbindung“ geäußert. Belgien, die Nie-
derlande und Luxemburg hatten sich für die Beteiligung Polens ausgesprochen.
Belgien war das einzige Land, das schriftlich geantwortet hatte und dem pol-
nischen Ansinnen am weitesten entgegenkam, indem es die „Konsultierung aller
Staaten, die in ihren Sicherheitsinteressen berührt werden“, befürwortete. Die
Tschechoslowakei hatte beim Treffen der Warschauer-Pakt-Staaten am 17. März
1990 in Prag mündlich geantwortet, wo sich die Mitgliedsstaaten auf eine ein-
heitliche Position des Bündnisses verständigt hatten: „Bedingung für Zustim-
mung zur Einheit Deutschlands ist die Anerkennung der bestehenden Grenzen in
Europa.“ Auch Mock hatte sich für eine mündliche Rückmeldung entschieden.344
Gelegenheit dazu bot sich am Rande der Außenministertagung des Europa-
rats am 23. und 24. März in Lissabon, zu der auch die Außenminister osteuro-
päischer Staaten eingeladen worden waren. Nachdem Mock die österreichische
Haltung dargelegt hatte, zeigte Skubiszewski „durchaus Verständnis dafür, dass
keine schriftliche Beantwortung seines Briefes“ erfolgen werde und gab „auch zu
verstehen, dass durch die bekanntgewordene Willensbildung der im Gegenstand
massgebenden Staaten in letzter Zeit dem polnischen Anliegen (Teilnahme an
341 Zirkulardepesche an die österreichischen Botschaften in Brüssel, Prag, Kopenhagen, Den
Haag, Luxemburg und Bern, Gesandter Ernst Sucharipa, Wien, 6. März 1990, ÖStA, AdR,
BMAA, II-Pol 1990, GZ. 22.17.01/55-II.3/90.
342 Amtsvermerk, Gesandter Ernst Sucharipa, Wien, 12. März 1990, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol
1990, GZ. 22.17.01/58-II.3/90.
343 Siehe dazu auch Dok. 140–141.
344 Amtsvermerk, Gesprächsnotiz und Kurzinformation für den Bundesminister, Gesandter
Ernst Sucharipa, Wien, 19. März 1990, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1990, GZ. 22.17.01/92-II.3/90.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99