Seite - 84 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990
2+4 Gesprächen, wenn polnische Interessen berührt werden) doch einigermassen
befriedigend Rechnung getragen werden dürfte“.345
Während dieses Thema den „Zwei-plus-Vier“-Prozess noch bis in den Juli hin-
ein begleitete und Polen seinen Grenzvertrag trotzdem erst mit dem geeinten
Deutschland aushandeln konnte, war die Angelegenheit für Österreich hiermit
erledigt. Als Bundeskanzler Vranitzky Anfang Juli bei seinem Besuch in War-
schau mit dem polnischen Regierungschef Tadeusz Mazowiecki und dem Staats-
präsidenten Wojciech Jaruzelski zusammentraf, kamen beide nicht mehr auf das
Schreiben des Außenministers zurück. Bilaterale und Wirtschaftsfragen stan-
den im Vordergrund der Unterredungen. Zur Grenzfrage betonte Mazowiecki
aber noch einmal: „Im Vereinigungsprozess müßten alle Zweideutigkeiten betref-
fend die polnisch-deutsche Grenze geklärt werden.“ Ähnlich ließ sich Jaruzelski
vernehmen.346
Auch wenn die DDR weiterhin bestrebt war für ihre Eigenstaatlichkeit zu kämp-
fen und in diesem Zusammenhang mit ihren Vorstellungen an Österreich heran-
trat,347 hatte sich in der österreichischen Diplomatie bereits im Verlauf der ersten
beiden Monate des Jahres 1990 die Überzeugung durchgesetzt, dass die deutsche
Einheit komme. Im Februar schätzte die österreichische Botschaft in Bonn ein,
dass es „früher oder später“ im Jahr 1991 so weit sein würde.348
Die österreichische Botschaft in Ost-Berlin meldete: „Kohl dränge mit sehr
großem Tempo zur deutschen Einheit und es ist damit zu rechnen, dass diese
noch heuer, spätestens aber nächstes Jahr verwirklicht werde.“349 Damit hatte man
den zeitlichen Fahrplan recht gut erkannt. Man rechnete in Wien damit, dass es
nach den Wahlen in der DDR am 18. März und mit dem einsetzenden „Zwei-plus-
Vier“-Prozess zu einer Beschleunigung des Einigungsprozesses kommen würde.
Mittlerweile waren auch die Widerstände gegen die deutsche Einigung im Westen
zurückgegangen.350 Dazu hatte nicht nur Kohls, sondern auch Genschers inten-
sive Gesprächsdiplomatie seit Jahresbeginn beigetragen.351
Während die französische Haltung aufgrund der parallelen Intensivierung
der europäischen Integration in Frühjahr 1990 kaum noch Anlass zu Zweifeln
gab,352 gestaltete sich der Umdenkprozess in Großbritannien langwieriger. Dort
bestanden Differenzen zwischen dem Foreign Office und der einer deutschen
345 Gesandter Ernst Sucharipa an die österreichischen Botschaften in Bonn und Warschau,
Wien, 26. März 1990, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1990, GZ. 22.17.01/92-II.3/90.
346 Siehe Dok. 158
347 Siehe Dok. 133.
348 BRD; Deutsche Einheit „2+4“ (Info), Telefax Botschafter Bauer und Wolfgang Loibl an BMAA,
Bonn, [nach dem 21. Februar 1990], ÖStA, BMAA, II-Pol. 1990, GZ. 22.17.01/48-II.1/90.
349 Siehe Dok. 126.
350 Siehe Dok. 129.
351 Am Beispiel Italiens siehe Dok. 128. Zur Rolle Genschers insbesondere auch Gerhard A.
Ritter,
Hans-Dietrich Genscher das Auswärtige Amt und die deutsche Vereinigung, München 2013.
352 Siehe Dok. 145.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99