Seite - 113 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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Anfang 1985: Grundbericht Österreich und die DDR Dok. 1
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Und schließlich schien es, als habe Erich Honecker seinen sowjetischen Part-
nern im Laufe des Jahres 1984 die Zustimmung zur Fortführung seines auf Nor-
malisierung ausgerichteten Kurses in den bilateralen Beziehungen zur BRD,
einschließlich der Möglichkeit eines Arbeitsbesuches in der BRD abgerungen,
nachdem im Frühjahr 1983 ein solches Treffen am sowjetischen Veto gescheitert
war.11
Die „Falken“ in der Sowjetführung um Außenminister Gromyko12 dürften
aber im Sommer 1984 immer weniger mit der Dynamik einverstanden gewesen
sein, mit der die DDR den Dialog mit westlichen (darunter NATO-) Ländern
führte und der sich zu verselbständigen schien. Auch der Zeitpunkt für diesen
Dialog eines „Stellvertreters“ schien ihnen immer weniger geeignet. Schließlich
kam es sogar über die Wünschbarkeit zu weiteren Normalisierungsschritten
zwischen DDR und BRD zu beträchtlichen Meinungsunterschieden zwischen der
DDR und der UdSSR. Sie wurden sogar in der Presse ausgetragen und fanden
jeweils Parteigänger in Ungarn und Polen, sodaß sich im Laufe des August 1984
eine Achse Ostberlin-Budapest-Bukarest bzw. Moskau-Prag-Warschau für bzw.
gegen die Wiederaufnahme des Ost-Westdialoges ergab.
Anfang September, nicht zuletzt angesichts der Verschlechterung des Gesund-
heitszustandes von Generalsekretär Tschernenko,13 waren jedoch beide Seiten
wieder bemüht, nach außen hin Einvernehmen zu dokumentieren. Es half, daß
die DDR in ihren Verhandlungen mit der BRD über den Honecker-Besuch als
BRD-Leistung für Reiseerleichterungen lediglich einen (freilich diesmal ungebun-
denen) 1-Milliarden-DM-Kredit zugesagt erhielt, aber keine Aussicht auf ein west-
deutsches Entgegenkommen in grundsätzlichen Fragen (Gera-Forderungen)14
möglich schien. Die mündliche Vereinbarung über eine weitere DM-Milliarde
(die dritte in zwei Jahren) hätte die Ausdehnung der Reiseerleichterungen auf
11 1984 scheiterte der geplante Besuch erneut, da die KPdSU-Führung bei einem Geheimtreffen
zwischen Honecker und Tschernenko in Moskau am 17. August 1984 ihr Veto einlegte. Vgl.
dazu: Niederschrift über das Geheimtreffen Honecker mit Tschernenko in Moskau. 17. August
1984, in: Die Häber-Protokolle, S. 398–421.
12 Andrej A. Gromyko, sowjetischer Außenminister (1957–1985), siehe Personenregister mit
Funktionsangaben.
13 Tschernenko verstarb am 10. März 1985 in Moskau.
14 Üblicherweise als „Geraer Forderungen“ bezeichnet. Am 13. Oktober 1980 richtete Honecker
in seiner Rede zur Eröffnung des Parteilehrjahres in Gera vier Forderungen an die Bundes-
republik. Diese umfassten 1) die Anerkennung der Staatsbürgerschaft der DDR, 2) die Um-
wandlung der Ständigen Vertretungen in Botschaften, 3) die Anerkennung der Flussmitte
der Elbe als Staatsgrenze, 4) die Auflösung der Zentralen Erfassungsstelle der Länderjustiz-
verwaltung für DDR-Verbrechen in Salzgitter. Zudem forderte er die Einstellung des „Miss-
brauchs des Transitabkommens“. Siehe: Zu aktuellen Fragen der Innen- und Außenpolitik der
DDR. Aus der Rede des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates
der DDR, Erich Honecker, auf der Aktivtagung zur Eröffnung des Parteilehrjahres 1980/81
in Gera, in: Neues Deutschland, 14. Oktober 1980, S. 3–5. Ausführlicher zu den deutsch-deut-
schen Beziehungen und den Strauß-Krediten siehe Abschnitt 1.4 dieses Dokuments und die
entsprechende Kommentierung.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99