Seite - 133 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
Bild der Seite - 133 -
Text der Seite - 133 -
19.3.1987: Analyse Gesandter Sucharipa Dok. 5
133
Dok. 5: [Auszug] Analyse. Reaktionen der Warschauer-Pakt-Staaten auf
die Perestroika, 19.3.1987
Analyse, Gesandter Ernst Sucharipa, Wien, 19. März 1987, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1987, GZ. 225.03.00/34-II.3/871
Reaktionen in den Warschauer Pakt-Staaten auf die Gorbatschowsche Politik der
Perestroika im Anschluss an die Jänner-Plenartagung des ZK der KPdSU;2 Analyse
Vorbemerkung: Zweifel an der Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit der Gor-
batschowschen Reformpolitik werden nicht nur im Westen laut, sondern auch auf
sowjetischer Seite selbst. Wenn auch diese Zweifel vornehmlich von dissidenten
Kreisen geäußert werden, so beruhen sie dennoch auf deren persönlichen Kennt-
nis und den eigenen Erfahrungen mit dem sowjetischen System. Äußerungen
1 Auf der Plenartagung des ZK der KPdSU vom 27./28. Januar 1987 hatte Gorbatschow Kri-
tik an den Entwicklungen in der UdSSR in den 1970er- und 1980er-Jahren geübt und eine
Ausweitung seiner Reformen auf das politische System angekündigt. Daraufhin forderte
der Leiter der Abteilung II.3 (Ostabteilung) Ernst Sucharipa am 2. Februar 1987 die Öster-
reichischen Vertretungsbehörden laut Verteilerliste „West“ und „Ost“ (außer Moskau) zur
Berichterstattung über „Niederschlag und allfällige Auswirkung der Reformpläne Gorba-
tschows“ im Empfangsstaat auf (GZ. 225.03.00/4-II.3/87). Bereits am 16. Februar 1987 wurde
durch Sucharipa eine erste Information für den Bundesminister erstellt. Diese wurde an
das Kabinett des Herrn Bundesministers, das Generalsekretariat, die Herrn Sektionsleiter,
die Herrn Leiter der Sektionen III, IV, V, sowie an die Auslandsvertretungen gemäß „Liste
KSZE“ verteilt (GZ. 225.03.00/10-II.3/87). In dieser wurde zur DDR festgehalten: „Bericht-
erstattung in Massenmedien ist betont zurückhaltend (kein vollständiger Text des von Gor-
batschow gehaltenen Eröffnungsreferates; kein Kommentar). Die SED-Spitze die selbst vor
allem auf Wirtschaftsmaßnahmen setzt (Schlagwort von der Einheit von Wirtschafts- und
Sozialpolitik) steht den gesellschaftspolitischen Reformen Gorbatschows skeptisch gegen-
über. Honecker vor 1. Sekretären der SED-Kreisleitungen: ‚Wenn es um die sozialistische
Demokratie in der DDR geht, ist sie durch nichts zu ersetzen.‘ Vor allem für Intellektuelle
und Künstler in der DDR ist Gorbatschow ein neuer Hoffnungsträger geworden. Wenn er
in Moskau Erfolg hat, wird es über längere Sicht auch der SED-Führung schwerfallen, ein
Übergreifen seiner Ideen auf die DDR zu vermeiden.“ Das hier auszugsweise wiedergegebene
Dokument wurde ebenfalls in der Abteilung II.3 erarbeitet (Sachbearbeitung: Legationsrat
Josef Litschauer) und stellt eine erweiterte Analyse der Informationen vom 16. Februar dar;
sie wurde an das Kabinett des Herrn Bundesministers, das Generalsekretariat, die Herrn Sek-
tionsleiter, die Herrn Leiter der Sektion III, IV, V, sowie an die Auslandsvertretungen gemäß
„Liste KSZE“ verteilt (GZ. 225.03.00/34-II.3/87). In diese ausführlichere Analyse dürfte der
Bericht der österreichischen Botschaft in der DDR eingeflossen sein, nicht aber meinungs-
bildend gewirkt haben, da er weitgehend die offizielle SED-Position wiedergab. Botschafter
Wunderbaldinger an BMAA, Berlin (Ost), 12. März 1987, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1987,
GZ. 43.03.00/1-II.3/87.
2 Die Plenartagung des ZK der KPdSU fand am 27./28. Jänner 1987 statt. In seiner Rede „Über
die Umgestaltung und die Kaderpolitik der Partei“ übte Gorbatschow scharfe Kritik an der
Politik seiner Vorgänger.
zurück zum
Buch Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit"
Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99