Seite - 139 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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2.4.1987: Bericht Botschafter Wunderbaldinger Dok. 6
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ren wurde der Bau einer durchgehenden Autobahnverbindung von Eisenach nach
Wildeck / Obersuhl an der Autobahn nach Hersfeld erörtert. Dieses Projekt erfor-
dere jedoch noch eingehende Studien der entsprechenden Fachleute.
Beiderseitiges Interesse besteht auch an der Elektrifizierung und dem Ausbau
der Schienenwege nach West-Berlin. Die BRD musste in den letzten Jahren einen
stetigen Rückgang der Reisenden auf der Schiene nach Berlin feststellen und ist an
der Herstellung eines leistungsfähigen Schienenweges nach West-Berlin interes-
siert. Die DDR wiederum erwartet sich durch dieses Projekt eine Modernisierung,
zumindest einer Strecke, ihres eher auf bescheidenem Niveau befindlichen Schie-
nennetzes. Die Herstellung eines Stromverbundes zwischen beiden Staaten findet
sowohl das Interesse der DDR als auch der BRD. Die DDR würde den Bau eines von
der BRD zu liefernden sauberen Kraftwerkes durch Stromlieferungen nach West-
Berlin bezahlen. Darüber hinaus bestünde die Möglichkeit, in Krisensituationen
–
wie etwa in den vergangenen zwei strengen Wintern – auch Strom aus West zu
beziehen. Die BRD wiederum hat aus Umweltschutzgründen Interesse, ein Heiz-
kraftwerk mit modernster Umwelttechnik zur Reinhaltung der Luft zu liefern
sowie West-Berlin in den Energieverbund zwischen Ost und West einzubeziehen.
Im Nachhang zum Besuch von Kanzleramtsminister Schäuble kann festge-
stellt werden, dass die seinerzeitigen Äußerungen von Bundeskanzler Kohl14 die
innerdeutschen Beziehungen nicht weiter belasten. Der gegenständliche Besuch
kurz nach Bildung der neuen Regierung in Bonn15 wurde dazu benützt, die Mög-
lichkeiten der innerdeutschen Beziehungen für die nächsten vier Jahre zu sondie-
ren. Deutlich zum Vorschein ist gekommen, dass der innerdeutsche Dialog von
Seiten der DDR allein durch den Staatsratsvorsitzenden geführt wird und dass
er – wohl mit Zustimmung in einem größeren Rahmen durch Moskau – bei Ge-
staltung dieser Beziehungen doch einigen Spielraum hat. Beiden Seiten ist aller-
dings klar, dass die Qualität dieses Dialoges vom jeweiligen Stand der Beziehun-
gen zu Moskau abhängig ist. Der bevorstehende Besuch von Bundespräsident
von Weizsäcker in Moskau16 und der in der Folge erwartete Besuch von Außen-
minister Schewardnadse in Bonn17 verdeutlichen das verbesserte Klima zwischen
14 Im Bundestagswahlkampf hatte Helmut Kohl am 4. Jänner 1987 in Dortmund die politischen
Kontakte mit den SED-Granden dahingehend gerechtfertigt, „daß wir dabei auch mit einem
politischen Regime sprechen, das immerhin 2.000 unserer Landsleute als politische Gefan-
gene drüben in der DDR in Gefängnissen und Konzentrationslagern hält“. Nach dieser Aus-
sage brauchte es einige Zeit, um die hochgegangenen Wogen zu glätten. Zitiert nach Potthoff,
Im Schatten der Mauer, S. 258.
15 Die erneut aus CDU / CSU und FDP gebildete Regierung trat am 25. Jänner 1987 ihr Amt an.
16 Bundespräsident Richard von Weizsäcker weilte vom 6. bis 11. August 1987 auf Staatsbesuch
in der UdSSR. Nach dem Besuch hatte der sowjetische Botschafter Gennadi Schikin bei der
Gesandten Eva Nowotny im Bundeskanzleramt vorgesprochen, um Bundeskanzler Franz Vra-
nitzky über die sowjetische Wertung des Besuchs zu informieren. Amtsvermerk, BRD; Besuch
BP von Weizsäckers in der UdSSR, Wien, 31. August 1989, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1987,
GZ. 22.01.01/6-II.3/87.
17 Der lange verschobene Besuch Eduard Schewardnadses in der Bundesrepublik fand schließ-
lich am 18. Jänner 1988 statt.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99